Eine Liebe in Prag

  • Insel
  • Erschienen: Januar 2014
  • 1
  • Insel, 2012, Titel: 'La vie rêvée d'Ernesto G.', Originalausgabe
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Almut Oetjen
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Histo-Couch Rezension vonMär 2014

Man kann die Geschichte nicht aufhalten

Josef Kaplan wird 1910 in Prag als Kind eines jüdischen Arztes geboren. Er wächst heran zu einem jungen Mann mit einer Leidenschaft für Marxismus und Medizin, Tango und Frauen. Die Entwicklungen der 1930er Jahre und ein attraktives Arbeitsangebot veranlassen ihn, Frankreich in Richtung Algerien zu verlassen. Nach dem Krieg zieht er mit seiner großen Liebe, der französischen Schauspielerin Christine, in die CSSR, wird kommunistischer Abgeordneter und droht ein Opfer des antijüdischen Slansky-Prozesses zu werden, des größten Schauprozesses der Tschechoslowakei, in dem unter dem Vorwand einer zionistischen Verschwörung gegen unliebsame Parteigenossen vorgegangen wurde.

Josef und Christine bekommen zwei Kinder, Helena und Martin. Die Mutter reist 1956 mit dem Sohn nach Frankreich und kehrt nicht wieder zurück. Josef erlebt den Prager Frühling und entzieht sich der Geheimpolizei, er arbeitet als angesehener Arzt in einer Lungenklinik in Kamenice. Dort wird im März 1966 Ramón Benitez Fernandez zur Behandlung eingeliefert, ein Gast der Regierung, erkrankt an Malaria und Ruhr, in Begleitung eines Offiziers der Inneren Sicherheit. So lernt Josef Che Guevara kennen, der sich in Helena verliebt, die ihm hilft und ihm aus Don Quijote vorliest.

Panorama der Enge

Jean-Michel Guenassia, Autor für Theater und Fernsehen, dessen erster Roman Der Club der unverbesserlichen Optimisten diesem Nachfolger nicht unähnlich ist, erzählt in Eine Liebe in Prag eine Familiengeschichte vor europäischem historischem Hintergrund. Die Hauptfigur Josef Kaplan durchlebt eine Odyssee, die ihn durch eine gesellschaftliche und politische Historie manövriert, in der sich Liebe und Katastrophen ein Stelldichein geben. Durch detailreiche Bezüge, die über die Bestimmung eines Hintergrunds hinausreichen, wird die Geschichte kulturell, politisch und historisch verortet. Eine wichtige Konstante ist Kaplans Plattensammlung mit Tangomusik von Carlos Gardel, die alle gesellschaftlichen und politischen Irrungen und Wirrungen unbeschadet übersteht. Während Josef Kaplan der zentrale Charakter ist, sind die beiden Hauptteile des Romans überschrieben mit den Namen seiner Frau Christine und seiner Tochter Helena.

Zu Beginn erzählt Guenassia mit leichter Distanz, eher skizzenhaft und pointiert denn episch. Später führt er die Leser und Leserinnen in die Gefilde der Soap Opera, mit großer Liebesgeschichte und Exkursen in die internationale Küche. Seine dramatische Geschichte über Menschen in einem Jahrhundert der Extreme umfasst mehrere Länder und Kulturen, handelt dabei aber immer von einer sehr kleinen und engen Welt, in der Menschen sich gegen alle Umstände, Widerstände und ihre Mitmenschen einen Raum zum Leben, oft auch zum Überleben schaffen.

Formen der Liebe

In Guenassias Roman, in dem die Liebe bereits im deutschen Titel anklingt, spielt die vielfältig konzipierte Liebe eine Hauptrolle. Man liebt sein Vaterland, dessen Institutionen und ihre menschlich-unmenschlichen Vertreter diese Liebe zum Problem werden lassen, sie ohne Begründung und aus niederen Motiven in Frage stellen. Man liebt die Revolution, die Macht, die Partei. Manchmal liebt man auch einen anderen Menschen. Josef liebt die Frauen als ihn anregende Erscheinungen, er liebt seine Frau, seine Kinder. Und immer ist es eine andere Form von Liebe. Die tiefste Liebe verbindet Josef und Helena, mehr noch als Che und Helena, wie sich auf zugleich kitschige und tragische Weise zeigt. Die Liebe zwischen Vater und Tochter ist ein über die Zeit gewachsenes Phänomen, scheint sich bar jeglicher Konstruktion entwickelt zu haben. Die Liebe zwischen Che und Helena entwickelt sich in einem kurzen Zeitraum, ist bestimmt durch Anmut und Zuwendung, eine Erfahrung kurzzeitiger Verbindung zweier Menschen. In ihr nimmt Ches Begehren Raum ein, aber keine verzehrende Leidenschaft und Ausschließlichkeit von Bindung, eher bestimmt durch Fürsorge und den Reiz, der sich aus der Gelegenheit und dem Exotischen ergibt.

Das literarische Motiv des durch die Herkunft bedingten Liebeskonflikts hat eine weit zurückreichende Tradition. Im zwanzigsten Jahrhundert wurde es intensiv an historischen Fällen durchbuchstabiert. Guenassia greift dieses Motiv in der Beziehung zwischen Che Guevara und Helena auf. Zugleich zeigt er die Grenzen der Macht des Revolutionärs auf, der eine politische Rolle zu spielen hat, die nur bedingt von ihm selbst inszeniert wird.

Der deutsche Titel Eine Liebe in Prag erweckt den Eindruck, es handle sich um eine Liebesgeschichte, die in Prag spielt. Dies trifft nicht zu, erinnert aber an einen Spielfilm gleichen deutschen Titels aus dem Jahr 1998, Roger Simons "Prague Duet" beziehungsweise "Lies and Whispers", der trotz weniger übereinstimmender Bezüge eine andere Geschichte erzählt. Der Originaltitel des Romans etwa: Das erträumte Leben des Ernesto G. - weist in eine andere Richtung. Dessen ungeachtet ist Eine Liebe in Prag lesenswert. Guenassia entwickelt die Historie, die Erzählung und die Charaktere mit Sorgfalt, lotet die Handelnden und ihre Beziehungen detailliert und mit teils interessanten formalen Mitteln aus.

Eine Liebe in Prag

Jean Michel Guenassia, Insel

Eine Liebe in Prag

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