Die Frau, die Sterne fing

  • Kindler
  • Erschienen: Januar 2014
  • 1
  • Kindler, 2013, Titel: 'The Movement of Stars', Originalausgabe
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Rita Dell'Agnese
861001

Histo-Couch Rezension vonMär 2014

Der Zauber entfaltet sich auf den zweiten Blick

Es braucht schon eine gewisse Neugier, um den Zugang zu Amy Brills Roman Die Frau, die Sterne fing zu finden. Die Autorin siedelt ihre Geschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts an und stellt die junge Quäkerin Hannah ins Zentrum. Die engen Grenzen, in denen sich die Quäker bewegen, sind auch beim Einstieg in die Geschichte spürbar. Mit viel Umsicht versucht Amy Brill, das Umfeld sichtbar zu machen, in dem sich Hannah bewegt – aber genau das droht zu einem Bumerang zu werden. Denn zunächst ist es eher trockene Materie, der sich die Leserinnen und Leser gegenüber sehen. Die junge Hannah, die sich bereits der Altersgrenze nähert, in der junge Frauen als Alte Jungfern gelten, lebt bei ihrem verwitweten Vater. Von ihm hat sie nicht nur den Umgang mit Chronometern gelernt, sondern auch die Liebe zur Astrologie. Doch seit Hannahs Zwillingsbruder Edward zur See gefahren ist, ist der Vater nicht mehr derselbe. Er verschließt sich seiner Tochter gegenüber und lässt die junge Frau in ihrer Einsamkeit zurück, denn auch sie vermisst den Bruder schmerzlich. Allerdings hat Hannah einen Traum: Sie möchte einst eine Entdeckung am Himmel machen, die ihren Namen tragen wird. Selbst die ungenügende Ausrüstung hält sie nicht davon ab, diesen Traum zu verfolgen. Als der zurückhaltende Seemann Isaac Martin auftaucht, um von Hannahs Vater einen Chronometer reparieren zu lassen, gerät Hannahs Welt aus den Fugen. Sie spürt, dass der Mann ihr Interesse an den Sternen und an der Navigation teilt – doch in der Gemeinschaft der Quäker ist es undenkbar, dass sie sich mit ihm näher befasst. Gegen alle Konventionen beginnt Hannah, den wissbegierigen Seemann in allem zu unterrichten und steuert damit in eine schwierige Situation.

Lebensfeindliche Gemeinschaft

Amy Brill zeichnet das Bild einer nahezu lebensfeindlichen Gesellschaft. Die Quäker haben sich so strenge Regeln gegeben, dass sie daran als Gemeinschaft langsam zerbrechen. Immer mehr Menschen brechen aus oder werden ausgeschlossen, weil sie im Alltag nicht in der Lage sind, das enge Korsett der Regeln zu tragen. Mit viel Empathie geht die Autorin mit diesem Stoff um, versagt sich jede moralisierende Note und beschränkt sich darauf, die Mechanismen zu erklären. Dabei schrammt sie aber leicht an einer etwas trockenen Erzählweise entlang. Ihr Bemühen, korrekt zu bleiben, geht zulasten einer lebendigen Schilderung. Die Leser erleben die Enge der Gemeinschaft, ohne selber daraus ausbrechen zu können, es sei denn, sie legen den Roman beiseite. Doch das wäre äußerst schade – denn die Geschichte, die Amy Brill zu erzählen hat, ist beim zweiten Hinsehen gleichermaßen kraftvoll wie poetisch. Die junge Quäkerin Hannah greift in vielerlei Hinsicht nach den Sternen: Sie beschäftigt sich mit dem Universum, was für eine Frau in ihrer Zeit an sich schon ungeheuerlich ist. Und sie nimmt sich Freiheiten heraus, die das ganze Gefüge der von den Quäkern gelebten Normen in Frage stellt.

Zu verhalten

Obwohl Amy Brill ihre Protagonistin grundsätzlich als starke Persönlichkeit skizziert, bleibt die Gestaltung des Charakters zu verhalten. Hannah wirkt über weite Strecken naiv und unsicher, was in einem klaren Widerspruch zu ihrem Verhalten steht. Zudem zelebriert sie Vorurteile gegenüber anderen Personen, was stark zulasten ihrer Sympathie geht. So bleibt Hannah sehr lange eine eher unfassbare und widersprüchliche Figur, mit der man nur schwer warm werden kann. Weit charaktervoller wirkt der zurückhaltende und doch wissbegierige Isaac, der sich im Laufe der Zeit zu einer immer spannenderen Figur entwickelt – und damit der Protagonistin auch etwas den Rang abläuft.

Genauer hinsehen

Mit ihrem Debut-Roman Die Frau, die Sterne fing, hat Amy Brill eine spezielle Geschichte präsentiert, mit der man möglicherweise nicht gleich auf den ersten Blick warm werden mag. Ein genaueres Hinsehen lohnt sich aber – nicht nur wegen der umfassenden Recherchen der Autorin, die sich teilweise eher als etwas schleppend ausnehmen und dem Roman seine Leichtigkeit nehmen, letztlich aber viel Wissen vermitteln. Es lohnt sich auch, weil Amy Brill viel Gefühl in ihre Zeilen verpackt, ohne gefühlsduselig zu werden. Die Autorin dürfte ruhig eine etwas leichtere Feder schwingen, doch grundsätzlich hat sie viel zu erzählen. Und das tut sie überzeugend.

Die Frau, die Sterne fing

Amy Brill, Kindler

Die Frau, die Sterne fing

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