Das gestohlene Lied

  • Lübbe
  • Erschienen: Januar 2005
  • 0
  • Lübbe, 2005, Titel: 'Das gestohlene Lied', Originalausgabe
Das gestohlene Lied
Das gestohlene Lied
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Annette Gloser
861001

Histo-Couch Rezension vonFeb 2014

Brave Mädchen kommen in den Himmel...

Glücklich wächst Kriemhild am Hof von Burgund auf, unter der strengen Zucht ihrer Mutter Ute, beschützt von ihren älteren Brüdern Gunter und Gernot. Als jedoch Hagen von Tronje um sie wirbt und sie ihn zurückweist, erwirbt sie sich einen Feind für den Rest ihres Lebens. Kriemhild, gerade vierzehn Jahre alt, kann noch nicht erfassen, welche Folgen ihre Zurückweisung haben wird. Dennoch spürt sie deutlich, daß sie in Zukunft vor Hagen auf der Hut sein muß.

Als dann ein paar Jahre später Siegfried von Niederland um ihre Hand anhält, verliebt sie sich sofort in ihn und willigt gerne ein, seine Frau zu werden. Kriemhilds Bruder Gunter jedoch hat sich in den Kopf gesetzt, um Brünhild von Isenland zu freien. Von der Schönheit dieser jungen Königin wird an allen Fürstenhöfen gesungen, aber auch von ihrer Stärke im ritterlichen Kampf. Brünhild will nur den heiraten, der sie im Zweikampf besiegt. Gunter fordert von Siegfried, ihn bei seiner Brautwerbung zu begleiten, denn Siegfried kennt Isenland und Brünhild schon lange. Zudem misstraut Gunter den eigenen Kampfkünsten und fordert von Siegfried, zum Kampf gegen Brünhild anzutreten. Siegfried erfüllt diese Aufgabe so, daß die kampflustige Schönheit glaubt, von Gunter besiegt worden zu sein. So muß sie nun die Braut des Burgunderkönigs werden. Ihre Liebe aber gilt schon seit ihrer Kindheit Siegfried, der einst als Knappe am Hof ihres Vaters diente. Zudem haben ihr Gunter und sein Gefolge vorgespielt, daß Siegfried ein Gefolgsmann Gunters sei, denn der Stolz dieser Königin würde niemals zulassen, einen Geringeren als einen König zu heiraten. Wie bitter Brünhilds Enttäuschung, als sie am Hof in Worms feststellen muß, wie sehr sie hinters Licht geführt wurde und daß eine andere Frau den von ihr begehrten Siegfried heiratet. Fortan ist auch sie Kriemhilds Feindin. Als sich Brünhild und Hagen von Tronje verbünden weiß Kriemhild, daß ihr Gatte Siegfried in großer Gefahr ist.

Dennoch kann sie seinen Tod nicht verhindern. Gedemütigt und voller Trauer muß sie nach Siegfrieds Tod in Worms bleiben, bevormundet von ihren Brüdern, ihres Schatzes beraubt von Hagen. Als jedoch nach Jahren der Trauer und Erniedrigung der Hunnenkönig Etzel um sie wirbt, sieht Kriemhild ihre Rache in greifbarer Nähe.

Sagenhafte Nibelungen

"Historischer Roman" steht auf dem Cover des Buches. Um es gleich vorweg zu sagen: Nein, ein historischer Roman ist das nicht! Das gestohlene Lied ist eine spannende und sehr gelungene Nacherzählung des Nibelungenliedes, eines mittelalterlichen Heldenliedes. Die Autorin hat hier jedoch einen Roman geschaffen, der dem Leser größtmögliche Realität suggeriert. So wurde die Handlung z.B. konsequent in das 12. Jahrhundert gelegt und alle Details wie z.B. Kleidung, Bewaffnung, höfische Sitten und Bräuche ebenso konsequent daran angepasst. Der Zwerg Alberich wird in diesem Roman ein Mensch aus Fleisch und Blut, der eher klein gewachsene Sarazene Al-Berija, Freund und Lehrer Siegfrieds. Die realen politischen Gegebenheiten des 12. Jahrhunderts spielen hier keine Rolle, die Autorin hält sich dabei an die Vorgaben des Nibelungenliedes, hat aber auch zum Thema Geographie ihre eigenen, durchaus bestrickenden Thesen.

Ein paar Protagonisten tauchen auf, die es im Nibelungenlied nicht gibt, die den Roman jedoch sehr bereichern und aus ihm ein farbiges, plastisches Gemälde höfischen Lebens machen. Die größte Tiefe in der Gestaltung liegt jedoch bei den Personen, die auch im ursprünglichen Nibelungenlied die Hauptrollen spielen.

Erzählerin der Geschichte ist Kriemhild, die ihren eigenen Entwicklungsweg beschreibt. Der Leser begleitet sie auf diesem Weg von der schüchternen und naiven Prinzessin bis zur reifen, lebensweisen Frau, die vor der Erfüllung ihrer Rache steht. Die Sicht Kriemhilds auf die Geschehnisse hilft, viele Dinge zu verstehen, die man vielleicht im originalen Nibelungenlied als Ungereimtheiten empfindet. Die wahnsinnig anmutende Rache eines Weibes, dessen Mann ermordet wurde, das seines Schatzes und aller eigenen Entscheidungsmöglichkeiten beraubt miterleben muß, wie der Mörder des Geliebten höchste Ehren erfährt.

 

Der ritterliche Ehrbegriff war dehnbar, das hatte ich längst erkannt, und der Schwur, Witwen und Waisen zu beschützen, galt offenbar nur, wenn sie von Drachen bedroht waren. Und falls es männliche Drachen waren, gab es da vermutlich auch noch mildernde Umstände.

 

Kriemhild ist nicht die einzige Betrogene im Nibelungenlied. Auch Brünhild wird betrogen und hinters Licht geführt. Die Autorin hat sich jedoch entschieden, Partei für Kriemhild zu ergreifen und hält dies über die gesamte Länge des Romans durch. Nur wenige Männer finden letztendlich Gnade vor ihren kritischen Augen.

Letztendlich gelangt die gedemütigte Witwe Siegfrieds an den Punkt, an dem sie nur noch Rache will: Für Siegfried und für das eigene Leid, welches ihr ihre Brüder, Hagen von Tronje und zahlreiche andere Männer angetan haben.

 

Und nun erzählt mir nichts von höfischem Benehmen, von Gastrecht und Verwandtschaft! Ich bin im Recht. Seit Jahren streite ich für mein Recht, so brav und artig, wie ein Kind um eine Belohnung bettelt. Aber nun ist es genug. Ich bin nicht mehr höfisch. Ich bin nicht mehr brav, und ich führe keine artigen Reden mehr. Ich bitte Gott nicht mehr um Hilfe, Etzel, nicht ihn und nicht seine Priester, nicht König und Ritterschaft. Das Recht, mein Herr, war immer das Recht des Stärkeren, und das nehme ich mir jetzt!

 

Das unausweichliche Fazit nach jahrelanger Unterdrückung.

...böse Mädchen kommen überall hin!

Christiane Gohl erzählt ihren Roman mit Enthusiasmus und Verve. Ihre Sprache ist dabei eher gradlinig und gelegentlich findet sich im Roman auch die eine oder andere Stelle, an der der Spannungsbogen deutlich absackt. Immerhin wird hier ein Geschehen geschildert, das sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt und nicht immer kann es Mord und Totschlag geben, das halten nicht mal die Nibelungen durch. Durch die Verlegung der Romanhandlung in das 12. Jahrhundert entsteht eine bestechende Authentizität. Wohl hat man als Leser immer im Kopf, daß es sich hier eben nicht um reales Geschehen handelt, aber die Autorin lässt dies immer wieder vergessen. Sie äußert sich in ihrem Nachwort ausführlich dazu und die Lektüre eben desselben sei an dieser Stelle ausdrücklich allen Lesern ans Herz gelegt. Dort wird auch der Titel des Romans erklärt.

Hier wurde eine tatsächlich großartige Kriemhild geschaffen, die ihr Anliegen dem Leser deutlich ans Herz legt und ihn verstehen lässt, warum aus der zarten Prinzessin eine Frau wurde, die letztendlich ihre gesamte Verwandtschaft niedermetzeln lässt. Speziell als Leserin kann man für diesen letzten Schritt nach Lektüre dieses Romans nur vollstes Verständnis haben.

Spannend und unterhaltsam

Mit Das gestohlene Lied hat Christiane Gohl eine wunderbare und zeitgemäße Nacherzählung des Nibelungenliedes geschaffen. Der spezielle Blickwinkel aus der Perspektive der Kriemhild schenkt dem Leser die Möglichkeit, dieses Heldenepos einmal sehr kritisch unter die Lupe zu nehmen. Mit diesem Roman sind Spannung und unterhaltsame Stunden garantiert - abgesehen davon tut man was für seine Allgemeinbildung. Bastei Lübbe hat auch dem Cover eine liebevolle Behandlung angedeihen und es mit mittelalterlich anmutenden Miniaturen gestalten lassen. Passend zu Inhalt des Romans und ein erfreulicher Anblick. Fragwürdig ist allerdings, warum Verlage nicht auch zu dem Inhalt der von ihnen verlegten Romane stehen können, denn immer wieder findet man Neuerzählungen von Heldenliedern oder Sagen unter der Bezeichnung "Historischer Roman". Schade eigentlich, denn dieses Etikett wird dem Roman nicht gerecht, er hätte Besseres verdient. Eine Lesempfehlung ist dieses Buch jedoch unbedingt wert!

Das gestohlene Lied

Christiane Gohl, Lübbe

Das gestohlene Lied

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