Deckfarbe

  • Gmeiner
  • Erschienen: Januar 2014
  • 0
  • Gmeiner, 2014, Titel: 'Deckfarbe', Originalausgabe
Deckfarbe
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Carsten Jaehner
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Histo-Couch Rezension vonFeb 2014

Vom illegalen Schaffen entarteter Kunst

1936. Der belgische Maler Gustave Garoche lebt und arbeitet in Venedig, steckt aber mitten in einer Schaffenskrise. Zudem verkauft er in keiner Galerie Bilder, da sein moderner Stil nicht gefragt ist. So beschliesst er, zu seinem Freund aus Kindertagen, Eduard, nach Berlin zugehen, wo sich die Olympischen Spiele ankündigen.

In Berlin versucht er ebenso verzweifelt, seine Bilder in Galerien, findet aber keine Abnehmer. Doch nach einem Besuch in der Kunsthandlung von Otto Niewarth wird er tags darauf von ihm einbestellt und bekommt ein höchst unmoralisches Angebot: Es gibt tatsächlich einen Markt für die "entartete Kunst”, wie sie von den Nazis genannt wird. Niewarth bietet ihm viel Geld und ein eigenes Atelier, wenn er Bilder im Stil bekannter Meister schafft. Keine Kopien, sondern neue Werke, wodurch er weiterhin ein Künstler wäre, nur einen falschen Namen unter das Bild schreiben würde.

Nach einigem Bedenken nimmt Garoche an und zieht bei Eduard aus in das Atelier am Rande Berlins, in dem er zusammen mit dem bereits dort tätigen Maler Erwin Katuschke neue Bilder malt. Sie nehmen sich eine Haushaltshilfe, die ihre Behausung auch bitter nötig hat doch irgendwann wird Otto Niewarth tot aufgefunden, und die ganze Sache wird allmählich mehr als brenzlig...

Ein Belgier in Berlin

Mit Deckfarbe präsentiert Renegald Gruwe einen Debütroman, der in brisanter Zeit ein brisantes Thema behandelt. Kunst ist und war immer Geschmackssache, und im Dritten Reich war der Geschmack festgelegt, und was nicht nach dem Geschmack der Chefetage war, war "entartete Kunst”. Unpassend waren unklare Formen, Akte, Bilder von Juden oder Homosexuellen, und all dies beschreibt Gruwe in seinem Roman.

Gruwes "Held” Gustave Garoche hat noch "Glück", wenn man das so sagen kann, dass er Belgier ist, denn dadurch kann er im Notfall jederzeit ausreisen. Doch er will sein Glück in der Höhle des Löwen versuchen, und man kann schon ein wenig Mitleid mit ihm haben, dass ihm das nicht gelingen will. Seine Kunst ist nicht gewünscht, entartet, und somit hat er letztlich eigentlich keine Chance, in Berlin richtig Fuß zu fassen.

Verkrachte Existenzen

Doch sein Deus ex machina erscheint in Form des Kunsthändlers Otto Niewarth, ein zwielichtiger Mann mit unangenehmen Schergen, die für ihn auch mal die Drecksarbeit erledigen. Garoche will die Wohnung seines Freundes Eduard unbedingt verlassen, da er sich mit dessen Freund auch angelegt hat. Überhaupt ist Eduard eine sehr ambivalente Figur, bei der man als Leser nicht genau weiß, woran man ist. Zwar trägt er im Dienst die braune Uniform, ist jedoch homosexuell, was auf keinen Fall ans Licht kommen darf. Hier hat Gruwe einen Charakter geschaffen, der bestimmt in der Realität des öfteren vorkam, und somit ist eine weitere brisante Konstellation für den Roman geschaffen.

Als Garoche in das Atelierhaus mit dem Maler Katuschke zusammenzieht, kann man sich als Leser schon denken, dass dort zwei Charaktere aufeinander treffen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, wenngleich sie die Kunst eint und dennoch können sie nicht malen, wie sie wollen. Entartete Kunst ist gefragt im Untergrund, und jemand muss sie liefern, und dadurch kann man quasi illegal viel Geld verdienen. Gottseidank ist Garoche so geistesgegenwärtig, sein Geld nicht zum Fenster hinauszuwerfen, wie Katuschke das tut. Katuschke ist ein zerstörter Mann in den Fünfzigern, alkoholabhängig und des öfteren auch mal neben sich stehend, aber, wie Garoche feststellt, ein begnadeter Maler, der eben das Pech hatte, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.

Der Maler und die Frauen

Garoche freundet sich mit ihrer Haushaltshilfe Ada an, und schon fast traditionell malt er sie als Akt und geht auch schnell eine Beziehung mit ihr ein, obwohl sie viel jünger ist als er. Doch auf Dauer kann das nicht gut gehen, gerade auch mit Katuschke im Haus, und als Niewarth tot aufgefunden wird, stattet die Polizei auch dem Atelierhaus einen Besuch ab, und es ist besser, wenn Ada nicht gesehen wird. Niewarth bleibt nicht die einzige Leiche, und somit sollte Garoche versuchen, schnell seine Sachen zu packen, wenn er nicht das nächste Opfer sein will.

Renegald Gruwe schafft es, den Leser in die Zeit des Nationalsozialismus zu holen, indem er Charaktere schafft, die zu den Randgruppen der Nazi-Gesellschaft gehören und die so, wie sie leben, nicht entdeckt werden dürfen. Und der einzige Nazi, den Garoche in Form seines Freundes Eduard kennt, ist homosexuell und darf ihn auch nicht verraten, ohne selbst dabei aufzufliegen.

Randfiguren

Dass Gruwe sich in der Malerei auskennt, ist dem Roman anzumerken. Da werden bekannte und unbekannte Maler erwähnt, die Ateliers riechen nach Farbe und Arbeit und die Galerien sind kleine Gefängnisse für Bilder. Hier kann der Leser sich gut vorstellen, wie in den Räumen Bilder geschaffen werden, die die beiden Künstler schaffen, aber unter die sie nicht ihren eigenen Namen schreiben dürfen.

Gruwes Schreibstil ist flüssig und gut lesbar, und die Handlung hat auch interessante Nebenaspekte wie die Beziehung zwischen Garoche und Ada, die irgendwann Garoche verlässt und mit einem Polizeisohn zusammenkommt, mit dem sich Garoche bereits einmal angelegt hat und wodurch das Schicksal schließlich seinen Lauf nimmt. Da stellt sich heraus, wer die wahren Freunde sind.

Debüt mit Potenzial

Leider gibt es in der Mitte des Romans ein paar Längen, die die Handlung nicht voran treiben und wo man sich fragt, ob und wann die Geschichte wieder an Fahrt aufnimmt. Gottseidank tut sie das. Die Kapitel sind insgesamt recht kurz gehalten und geben so dem Leser immer wieder Gelegenheit, einen Moment über das Geschehen nachdenken zu können. Leider enthält der Roman kein Nachwort des Autors, das vielleicht einen Einblick in die wirkliche Sachlage gegeben hätte. Verschenkt hat Gruwe letztlich auch die Thematik der Olympischen Spiele in Berlin. Gut angelegt und auf die Eröffnung des Spiele zusteuernd, bleiben sie später aussen vor und man denkt, dass der Roman auch ohne diesen Aspekt funktioniert hätte. Hier hätten sich noch Möglichkeiten geboten, mehr in die Bilderschiebereien eintauchen zukönnen, mit Händlern aus aller Welt, die wegen der Spiele gekommen sind, aber leider nimmt Gruwe seinen eigenen Staffelstab nicht auf.

Insgesamt bleibt ein Roman, der ein spannendes Thema interessant aufarbeitet, sich aber kleine Schwächen in der Dramaturgie erlaubt und ein paar Längen hat. Dennoch sollte man als interessierter Leser von Romanen aus der Zeit des Dritten Reichs hier zugreifen, allein wegen des ungewohnten Sujets. Und auch bei weiteren Romanen des Autors wird man gerne zugreifen, denn dass er seine Leser packen und streckenweise beeindrucken kann, hat er mit diesem seinem Debüt durchaus gezeigt.

Deckfarbe

Renegald Gruwe, Gmeiner

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