Das Lachen und der Tod

  • Blessing
  • Erschienen: Januar 2013
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  • Blessing, 2010, Titel: 'De lach en de dood', Originalausgabe
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Jörg Kijanski
951001

Histo-Couch Rezension vonNov 2013

Ein beklemmendes, aber großartiges Werk!

Der deutsche Vater kämpfte im Ersten Weltkrieg, erhielt das Eiserne Kreuz. Doch die holländische Mutter war eine Jüdin und so versteckt sich der Komiker Ernst Hoffmann in Amsterdam vor den Schergen des NSB, einer faschistischen niederländischen Partei. Aber es hilft nichts, Hoffmann wird gefasst und im Frühjahr 1944 in ein polnisches Vernichtungslager deportiert.

 

Später dachte ich manchmal: Wäre ich doch nur ein besserer Clown gewesen! Am Morgen nach meinem einundzwanzigsten Geburtstag, am 23. November 1928, schoss sich mein Vater eine Kugel in den Kopf.

 

Auf dem Weg dorthin werden die Menschen zusammengepfercht. Inmitten des Elends singt eine junge Frau (Helena Weiss) das "Lied der Hoffnung" und erregt dadurch Hoffmanns Aufmerksamkeit. Als es zu Streitigkeiten zwischen den Deportierten kommt, versucht Hoffmann die Situation zu entschärfen, in dem er ein paar Witze erzählt. Durch das entstehende Lachen werden aber zugleich einige Wächter auf den Plan gerufen, die kurzerhand ein paar Schüsse abgeben, um dem Ganzen Einhalt zu geben. Dabei stirbt der Diamantenhändler Max de Ronde. Hoffmann zieht sich dessen Jacke über und entdeckt einen im Futter eingenähten kleinen Diamanten.

 

Wird man von Wölfen und Hyänen umzingelt, ist man in der Mitte der Herde am sichersten.

 

Im Lager angekommen werden Frauen und Männer sofort voneinander getrennt, doch Hoffmann und Helena können sich noch versprechen, sich nie zu vergessen. Schnell lernt Hoffmann die unmenschliche Brutalität, welche das Lagerleben auszeichnet, kennen. Um den Mitgefangenen wenigstens ein bisschen Zuversicht zu spenden, bittet ihn den Blockälteste Schlomo, einmal am Abend ein paar Witze zu erzählen. Nachdem der Lagerkommandant Müller von Hoffmanns Aktivitäten erfährt, bietet er diesem einen teuflischen Pakt an. Wenn er, Hoffmann, abends vor den SS-Schergen auftritt, bleiben er und Helena am Leben …

 

Der Mensch ist des Menschen Wolf. Und wenn ich schon ein Tier sein musste, dann bestimmt kein Lamm.

 

Auf der Rückseite des Buchcovers wird Robert Cohen, ein Überlebender von Auschwitz, mit den Worten zitiert:

 

Ich bewundere Webeling, der nach seinen gründlichen Recherchen das Leben und Sterben in den Lagern so wirklichkeitsgetreu beschrieben hat.

 

Mit diesem Satz ist eigentlich alles gesagt. Wer hier womöglich eine romantische Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des Holocaust erwartet, der wird schnell eine böse Überraschung erleben. Webeling schreibt brutal direkt über den Alltag im Vernichtungslager. Kein Verbrechen, keine Unmenschlichkeit und auch kein Detail ist zu grausam, als dass er nicht darüber erzählen würde. Ohne erkennbaren Grund werden Gefangene per Kopfschuss auf offener Straße erschossen, andere springen unbekleidet in einen Stacheldrahtzaun, um dem ganzen Irrsinn zu entfliehen. 

 

Soweit ich das beurteilen konnte, hatte man als Jude immerhin das Privileg, einem Unmenschen nicht in die Augen sehen zu müssen. Unmensch – ein Begriff, den ich seit der Reichskristallnacht passender fand als Übermensch.

 

Selbst die Arbeit in den Krematorien wird ausführlich geschildert, so dass es einem schwer fällt, das Buch in einem Rutsch zu lesen. Immer wieder sieht man sich gezwungen, eine Pause einzulegen, das Gelesene zu verarbeiten und gleichzeitig den schwachen, da chancenlosen Versuch zu starten, die im Kopf entstandenen Bilder zu verdrängen.

 

Humor ist nichts weiter als die strikte Weigerung, der Tragödie das letzte Wort zu überlassen.

 

Pieter Webeling schreibt beklemmend über den Holocaust und schlüpft hierfür in die Figur des Ich-Erzählers Ernst Hoffmann. Dieser erkennt, dass trotz allem Elend der Humor eine Chance zum Überleben bietet. Dass dies gleichzeitig bedeutet, über seine Grenzen zu gehen, indem man beispielsweise vor den SS-Schergen und Kapos auftritt und dabei Witze erzählt, die nur sehr bedingt unterhaltsam sind, ist unvermeidlich. Trotz der ernsten Thematik muss man aber über den einen oder anderen Witz dann doch schmunzeln, mitunter bleibt einem aber auch das Lachen sprichwörtlich im Halse stecken. Was Webeling hier geschaffen hat, ist in jeder Hinsicht beeindruckend.

 

Der Propagandaminister Herr Doktor Joseph Goebbels besucht eine deutsche Schulklasse. Er bittet die Schüler um patriotische Parolen. […]

"Unser Volk wird ewig leben", sagt ein kleiner Junge.

"Wunderbar", erwidert Herr Goebbels und klatscht begeistert. "Diese Parole gefällt mir am besten. Wie heißt du, junger Mann?"

"Israel Goldberg."

 

Ob man sich fast siebzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges in einer derart intensiven Form erneut mit dem Thema Holocaust beschäftigen möchte, sei dahin gestellt. Der Roman scheint keine Grenzen zu kennen und verlangt seinem Leser alles ab. Dennoch bleibt eines festzuhalten: Über das Dritte Reich und den Holocaust wurden bereits unzählige Bücher geschrieben. "Das Lachen und der Tod" ist eines der besten!

Das Lachen und der Tod

Pieter Webeling, Blessing

Das Lachen und der Tod

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