Das Mädchen am Klavier

  • dtv
  • Erschienen: Januar 2013
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  • dtv, 2013, Titel: 'Das Mädchen am Klavier', Originalausgabe
Das Mädchen am Klavier
Das Mädchen am Klavier
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Carsten Jaehner
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Histo-Couch Rezension vonMär 2013

Biedermeierbild einer Musikerfamilie

Der Klavierlehrer und Musikalienhändler Friedrich Wieck träumt davon, wenn schon seine eigenen Fähigkeiten nicht zur grossen Karriere gereicht haben, eines seiner Kinder so zu fördern und zu protegieren, dass dessen Ruhm schließlich auch auf ihn abstrahlt. Doch der exzentrische Mann braucht lange, bis er eine Frau findet. 1819 kommt schließlich seine Tochter Clara zur Welt, und schon mit zwei Jahren setzt er sich mit ihr ans Klavier.

Clara jedoch spricht lange nicht und wächst in zerrütteten Verhältnissen auf. Die Eltern trennen sich, die Mutter heiratet in Berlin erneut, während Clara beim Vater in Leipzig bleibt und ebenfalls neu heiratet. Doch egal, wie viele Geschwister Clara hat, ihr Vater kümmert sich nur um sie und ihre Karriere.

Schon bald tritt Clara öffentlich auf und wird eine geschätzte und beliebte Pianistin. Ihr Vater reist mit ihr durch halb Europa, und ihr Stern als Wunderkind strahlt über der Musikwelt. Wieck ist es zufrieden, doch als Clara sechzehn Jahre alt ist, kommt ein neuer Schüler zu den Wiecks ins Haus: Robert Schumann, ein aufstrebender Pianist, Komponist und Verleger einer Musikzeitung. Nach einiger Zeit verliebt sich Clara in ihn und er in sie, und Vater Wieck steht grosse Konkurrenz ins Haus und er will verhindern, dass er Clara an Schumann verliert. Eine unschöne und schwierige Zeit beginnt...

Die Tochter als künstlerisches Geschöpf

Clara Wieck hat eine schwierige Kindheit, wenn man es denn Kindheit nennen will. Ihr Vater Friedrich Wieck ist ihr Klavierlehrer und bringt ihr das Spielen schon sehr früh bei, ist aber auch des öfteren wegen seiner Klavierfirma unterwegs. Claras Eltern sind geschieden, sie lebt beim Vater in Leipzig und hat keinen Kontakt zur Mutter in Berlin, die wieder neu verheiratet ist. Zumal der Vater auch jeglichen Kontakt verhindern würde.

Überhaupt ist Friedrich Wieck sehr streng und als Vater heutzutage nicht zu empfehlen. Zwar setzt er neben Clara noch andere Kinder in die Welt, interessieren tut ihn jedoch einzig Clara, die anderen nimmt er bestenfalls überhaupt wahr. Dafür macht er sie zu seinem Geschöpf, bringt ihr das Klavierspielen und Komposition bei und führt sie allmählich in die Gesellschaft ein. Ein Schulbesuch findet nicht statt, sie muss das alles gar nicht wissen, findet der Vater, und so kann Clara und nur mehr schlecht als recht Lesen und Schreiben.

Kind ohne Kindheit

Eindrücklich beschreibt die Autorin Rosemarie Marschner das leidende Kinderleben Claras, die eigentlich gar keine richtige Kindheit hatte wie andere, wie Clara selbst später irgendwann feststellt. Zwar bekannt mit Paganini im anderen Musiker, aber nicht mit gleichaltrigen Mädchen, Spielkameradinnen gibt es nicht. Stattdessen Üben, lernen und vom Vater verordnete ausgedehnte Spaziergänge, die die Kondition und die Gesundheit fördern und erhalten und daher täglich zu praktizieren sind. Marschner beschreibt Claras Leben in einem goldenen Käfig, dass man neben allen "beruflichen Erfolgen nur Mitleid mit ihr und Abscheu gegenüber ihrem Vater haben kann.

Dabei lässt sich die Autorin viel Zeit und es gelingt ihr dabei eine intensive Beschreibung der familiären Verhältnisse und vor allem der Beziehung Vater - Clara. Dies sind die beiden Hauptpersonen des Romans, und gegensätzlicher könnten Menschen nicht sein, auch wenn Clara natürlich erst mit der Zeit darauf kommt, was sie alles hat und was sie alles entbehrt. Bezeichnenderweise verlebt die Familie immer dann die schönste Zeit, wenn Vater Wieck wegen seiner Klaviergeschäfte unterwegs ist, dennoch schreibt er jeden Tag, erwartet jeden Tag selber Briefe und hat seinen kompletten auswärtigen Aufenthalt zu Hause durchgeplant. Ein Kontrollfreak, wie man heute sagen würde, letztlich auch unsympathisch und genauso, wie man ihn eigentlich gerne selber nicht hätte. Marschner gibt dem Leser keine Gelegenheit, eine Spur Sympathie zu ihm zu empfinden, schrecklich genug, dass all dies keine Erfindung ist, sondern tatsächlich belegt. Allein wenn er am Ende alles tut, um Schumann zu verleumden, damit eine Ehe mit Clara gerichtlich erlaubt werden kann, und er selbst im Gerichtssaal keine Spur Menschlichkeit erkennen lässt, spricht Bände.

Das Leiden einer Tochter

Clara hingegen ist noch ein kleines Mädchen und kennt es nicht anders, daher kann man ihr auch keinen Vorwurf machen. Wer mit sechs Jahren das erste Mal öffentlich spielt und Spaß dabei hat und somit sein Leben zwischen Überaum und Bühne verbringt, weiß eben nicht, wie es anders ist. Doch alles ändert sich, als Robert Schumann in ihr Leben tritt. Marschner führt ihn behutsam ein, verschweigt aber auch nicht seinen zweifelhaften Ruf, vor allem bei der Damenwelt. Doch da er neun Jahre älter ist als Clara, besteht aus Wiecks Sicht zunächst keinerlei Gefahr. Das soll sich mit den Jahren ändern, wo Schumann die eine oder andere "Beziehung hatte und auch Clara von Verehrern umringt wird. Doch es ist die Zeit des Biedermeiers, und da geht alles sehr züchtig zu, was aber auch die Schwelle für Skandale niedrig hält.

Beschreibt Marschner zunächst das Leben von Clara und Friedrich Wieck, so wird doch später ein Dreiecksroman daraus, als Schumann den Plan betritt. Doch so intensiv die Autorin auch die Beziehungen beschreibt, sie wiederholt sich in ihrer Ausdrucksweise ein ums andere Mal, und spätestens alle fünf Seiten liest man wieder, wie sehr Vater Wieck sich in sein Geschöpf Clara verbeisst, da er sie geschaffen hat wie sie ist, wie sehr Clara von einer Zukunft mit Robert träumt und wie sehr Robert von einer Zukunft mit Clara träumt - spätestens beim dritten Mal dürfte es jeder Leser verstanden haben, aber die Autorin strapaziert mit ihrer gebetsmühlenartigen Wiederholung immer derselben Gefühlslage doch arg die Geduld und das Verständnis des Lesers. Zumal sie es teilweise fast wörtlich wiederholt und nicht einmal neue Formulierungen findet.

Distanzierte Erzählweise

Biedermeierartig ist nicht nur die Zeit, in der Roman spielt, sondern auch der Erzählstil der Autorin. Das muss erst mal nichts schlechtes sein, doch bleibt sie bei allem Drama doch dadurch merkwürdig distanziert, und gerade der Beginn des Romans hat dadurch fast lexikonartigen Charakter, ehe sie es erst nach einer längeren Weile schafft, sich frei zu schreiben und die Fakten in eine laufende Geschichte zu fassen.

Insgesamt ist der Roman, der nur mit einem kurzen Nachwort zu den einzelnen Figuren daherkommt, gut zu lesen, aber doch mit einigen Längen ausgestattet und tritt immer wieder auf der Stelle. Die Geschichte an sich lässt mit Clara mitfühlen und den Leser gegen den Vater sein, was aber auch Zeitgenossen wohl bestätigen können und wie man in diverser Fachliteratur nachschlagen kann. Frau Marschner hätte durchaus großzügiger mit Jahreszahlen umgehen können, um die eine oder andere zeitliche Dimension besser verstehen zu können. So bleibt ein tatsächlich etwas biederer Roman mit Höhen und Tiefen, der zwar ein interessantes Bild der Zeit zeigt und auch Promis wie Mendelssohn, Paganini und Liszt auftauchen lässt, der aber auch dem Leser gegenüber eine gewisse Distanz mit Längen und Wiederholungen aufzeigt, die bestimmt hätten gekürzt und ausgemerzt werden können. Der Roman endet mit der Heiratsbewilligung, doch ein befriedigendes Ende ist es trotz allem nicht. Eine Fortsetzung würde Antwort geben, doch sollte diese straffer gefasst werden.

Das Mädchen am Klavier

Rosemarie Marschner, dtv

Das Mädchen am Klavier

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