Die Wolkenbraut. Das Leben der Philippine Welser
- Haymon
- Erschienen: Januar 2013
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- Haymon, 2013, Titel: 'Die Wolkenbraut. Das Leben der Philippine Welser', Originalausgabe
Die Schöne und der Zwerg
Im 16. Jahrhundert. Zwerg Thomele ist unter die Räuber gefallen. Er, einst der kostbarste Besitz seines Herrn, weiß nun nicht mehr, was die Zukunft für ihn bereit hält. Eigentlich hat er Glück gehabt, daß ihn die Räuber nicht sofort erschlagen haben. So schimpfen sie ihn eine Mißgeburt, stoßen ihn herum und lassen ihre Wunden von ihm kurieren. Denn Thomele ist heilkundig. Das verdankt er seiner Herrin, der Philippine Welser, die er innig geliebt hat und die ihn beschützte. Nun aber ist Philippine schon lange tot und auch Thomeles' Herr Ferdinand II. hat diese Welt verlassen. Für Thomele gibt es keinen Platz mehr bei Hofe, denn Ferdinands zweite Frau und nunmehrige Witwe Catarina Gonzaga will den frechen Zwerg nicht am Innsbrucker Hof dulden. So hat sich Thomele auf den Weg in seine Heimat Böhmen gemacht, allerdings ist er dort nicht angekommen, eben weil ihn nun die Räuber verschleppt haben.
So hat er viel Muße, sich an seine Zeit mit seinem Herrn Ferdinand und vor allem mit seiner verehrten Herrin Philippine zu erinnern. Daran, wie er Philippine kennen lernte, wie sie verborgen vor den Augen der Welt auf Schloß Ambras bei Innsbruck lebte, wie es ihr gelang, die Herzen der armen Menschen zu gewinnen. Aber auch, wie sie an Stolz und Hochmut der Mächtigen scheiterte. Er beschreibt sein eigenes Leben und das Leben einer klugen, mutigen Frau, die zu ihrer Liebe stand, obwohl sie einen hohen Preis dafür zahlen musste. Ihre Ehe wurde vor der Welt geheim gehalten, ihre Kinder wurden nie als legitime Erben anerkannt. Sie selbst genoß zwar ein luxuriöses Leben, aber Sicherheit und Achtung wurden ihr nie zuteil. Und oft genug musste Philippine an eine andere Frau denken, die auch einen Fürstensohn heimlich geheiratet hatte und, wie die Welserin, aus Augsburg stammte: Agnes Bernauer, die ihre Liebe das Leben gekostet hat. Auch Philippine konnte sich ihres Lebens nie sicher sein, musste Mordanschläge befürchten. Aber in ihrer bodenständigen, pragmatischen Art tut Philippine das, was sie für recht hält. Oft genug rettet sie anderen Menschen damit Leben und Gesundheit.
Thomele berichtet darüber, wie Philippine lebte, wie sie Menschen heilte und schließlich selbst einer schweren Krankheit erlag. Und er berichtet über den Genussmenschen Ferdinand II., der Böhmen liebte, aber zum Herrscher von Tirol bestimmt war.
Von unten betrachtet
Jeannine Meighörners Roman Die Wolkenbraut führt in die Zeit zwischen 1565 und 1596 zurück. Thomele, der damals vermutlich kleinste Mensch der Welt, erhielt von der Autorin die Rolle des Erzählers zugeschrieben. Unterbrochen werden Thomeles Erinnerungen durch tagebuchähnliche Berichte Philippine Welsers. Diese Berichte sind kursiv gedruckt und heben sich so deutlich vom übrigen Text ab. Eine Erleichterung für den Leser, denn die Berichte der Welserin und Thomeles Erzählung sind nicht zeitkonform. Dennoch findet man sich gut zwischen den unterschiedlichen Texten zurecht.
Die Autorin verleiht ihrem Erzähler dabei ein Image der Sensibiltät und der Lebensweisheit. Thomele sieht die Welt anders. Er betrachtet sie von unten und Nasenlöcher geben ihm erstaunliche Auskünfte über das Wesen der Menschen um ihn herum. Der Winzling ist ein Philosoph, nicht nur gewitzt und frech, sondern auch melancholisch, klug und feinfühlig. Immer hat man das Gefühl, er beschreibe seine eigenen Taten mit einem Grinsen. Und oft kann der Leser auch Mitleid empfinden mit diesem Menschen, der durch Zufall winzig klein ist und deshalb so wenig geachtet wird. "Stumpen" nennt ihn Ferdinand, schleppt ihn hierhin und dorthin, lässt ihn in einer Pastete einbacken und weist Kaufangebote für den "Zwerg" zurück. Der Trick, Thomele erzählen zu lassen, erweist sich als großer Gewinn für das Buch. Als Kenner der intimsten Hofgeheimnisse plaudert er munter eben diese aus. Dem Leser ermöglicht das einen sehr genauen Blick auf den Kaiserbruder Ferdinand II., einen Renaissancefürsten mit allen Ansprüchen und Forderungen, aber auch mit dem Wissen und der Neugier seiner Zeit. Man lernt Ferdinand als Machtmenschen kennen, der ausschließlich seinen eigenen Interessen verpflichtet ist. Aus heutiger Sicht betrachtet gibt es sympathischere Typen als ihn.
Philippine dagegen, die Thomele das Leben rettete, wird von ihm als als eine feinfühlige Frau geschildert, sensibel und voll Mitgefühl für andere Menschen. In der rohen, machtgierigen Welt des Innsbrucker Hofes schillert sie als humanistische Exotin.
Nicht nur eine Fleißarbeit
Die Autorin hat einen enormen Rechercheaufwand betrieben. Dies wird deutlich, wenn sie Thomele Feste beschreiben lässt oder andere große Ereignisse. Jeannine Meighörner weiß genau, was wie viel Ferdinands Kunstkabinett gekostet hat, welche Speisen bei diesem oder jenem Bankett auf dem Tisch standen, wie viele Hirsche Ferdinand jagte etc.. Mitunter wirken die vielen Aufzählungen, mit denen sie Thomele seine Erzählung ausschmücken lässt, etwas ermüdend für den Leser. Aber sie führen den Protz vor Augen, mit dem damals gelebt wurde. Und kurzzeitig fühlt man sich wie einer jener Bürger, die zwar nicht zum Fest eingeladen waren, jedoch später mit offenen Mündern lauschten, wenn darüber berichtet wurde.
Die Autorin ist ganz tief in die Renaissance eingetaucht, hat Rechnungen gesehen, Zusammenhänge hergestellt, ihre Protagonisten genau kennen gelernt. Und es ist ihr gelungen, eben diesen Protagonisten Leben einzuhauchen, die Pracht des Innsbrucker Fürstenhofes wieder auferstehen zu lassen auf dem Papier. Wer das Buch aufschlägt, kann sich schnell in diese ferne Welt versetzen.
Dabei bleibt das Buch interessant und spannend bis zur letzten Seite. Die Autorin hat eine ganz besondere Sprache gefunden, nicht altertümlich, aber doch in einem etwas gehobenen Duktus, der es dem Leser leicht macht, sich in die Vergangenheit versetzen zu lassen. Das ist angenehm zu lesen, verlangt allerdings auch, sich darauf einzulassen und die Gedanken nicht völlig abdriften zu lassen.
Sensibel und bunt
Die Wolkenbraut ist ein berührendes Buch über eine starke, kluge Frau und einen kleinen Mann, der vielleicht zu Unrecht von der Welt vergessen wurde. Hier findet man sorgfältige Recherche mit einer sensiblen, tiefgründigen Erzählweise kombiniert. Der Haymon tb Verlag hat das Cover mit einem Porträt Philippine Welsers gestalten lassen, Schloß Ambras im Hintergrund. Sehr angenehm, denn so kann man gelegentlich mal einen Blick auf die Frau werfen, über die hier erzählt wird. Das Nachwort der Autorin ist unbedingt lesenswert. Aber das ist ja das ganze Buch. Jeannine Meighörner hat etwas zu erzählen, und das tut sie mit Engagement. Dabei heraus kam ein Roman, den man unbedingt empfehlen kann.
Jeannine Meighörner, Haymon
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