Mein Name war Judas

  • Eichborn
  • Erschienen: Januar 2012
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  • Eichborn, 2006, Titel: 'My Name was Judas', Originalausgabe
Mein Name war Judas
Mein Name war Judas
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Annette Gloser
931001

Histo-Couch Rezension vonJan 2013

Judas, verrätst du den Menschensohn?

Kurzgefasst:

War Judas wirklich der Verräter, als der er allgemein gilt? Als alter Mann in Palästina lebend blickt er zurück. Er hat Jesus ein Leben lang mit tiefer Zuneigung begleitet, wurde aber skeptisch gegenüber der bedingungslosen Verehrung, die dieser zunehmend forderte. Das machte ihn zum Außenseiter in Kreis der Jünger, dennoch blieb er als Einziger an seiner Seite bis zum Ende.

 

Idas von Sidon erzählt die Geschichte des Mannes, der er früher einmal war: Judas aus Kariot. Er weiß, dass er in den Legenden der Christusanhänger als der Verräter schlechthin betrachtet wird, dass sein früherer Name zum Synonym für Verrat und Untreue wurde. Dafür hat er nur ein müdes Lächeln übrig. Und so kommt es ihm auch nicht darauf an, seinen Namen rein zu waschen. Den hat er längst abgelegt und mit seinem griechischen Namen Idas ein neues Leben angefangen, wieder geheiratet, Kinder gezeugt und groß gezogen, Wohlstand erworben.

Seine gemeinsame Zeit mit Jesus liegt lange zurück. Aber noch immer verfolgt ihn der Schrecken der Kreuzigung. Er war nie ein besonders gläubiger Mensch, aber er war Jesus von Nazareth in tiefer Freundschaft verbunden, verfolgte dessen Weg mit Anteilnahme und zunehmender Besorgnis. Er berichtet, wie er gemeinsam mit Jesus zur Schule ging, welche gemeinsamen Erlebnisse sie hatten, obwohl sie aus völlig verschiedenen sozialen Kreisen kamen: Judas, dessen Vater ein wohlhabender und einflussreicher Händler war, und Jesus, der aus einer armen Handwerkerfamilie kam, die ihre vielen Kinder gerade so ernähren konnte. Idas/ Judas erzählt auch, wie Jesus seine Laufbahn als Wanderprediger begann und wie er selbst, Judas, in die Schar seiner Jünger geriet. Aus der Sicht eines gebildeten alten Mannes, der sich weit vom Judentum entfernt hat, schildert er die Wanderungen durch das Land und die zahlreichen Geschehnisse, die im Weitersagen zu Wundern wurden ohne es je wirklich gewesen zu sein.

Nun sind mehr als vierzig Jahre seit der Kreuzigung Jesu vergangen, man schreibt das Jahr 71 und Idas lebt sein neues, sein griechisch orientiertes Leben. Aber weiterhin ist das Land von den Römern besetzt. Schreckensmeldungen aus Jerusalem erreichen Sidon. Die Stadt wurde von den Römern erobert, die Zerstörung des Tempels steht bevor. Idas erkennt, wie sehr ihn das schmerzt. Obwohl er seinen Glauben abgelegt hat, obwohl er kein Jude mehr sein will, trifft ihn die Eroberung Jerusalems ebenso schwer wie der Tod des besten Freundes am Kreuz.

Als er den Wanderprediger Ptolemäus bei sich aufnimmt, erkennt er in ihm einen Gefährten aus früheren Tagen. Bartolomäus ist es, der auch zu den Jüngern Jesu gehörte und nun durch das Land zieht, um den Menschen den neuen Glauben zu predigen. Und Idas muß begreifen, dass er mit den Worten der Vernunft nicht ankommt gegen das, was die Menschen sich zurechtlegen in ihrer Erinnerung.

Über Freundschaft

Wer bei Mein Name war Judas Spaß und Spiele à la Monty Python erwartet, der wird enttäuscht sein. C. K. Stead schreibt ein Buch über einen Mann, der schwer mit dem Glauben zu ringen hat und letztendlich erkennt, dass er ein Mann der Logik und der Vernunft ist. Und gleichzeitig ist dies ein Buch über eine Freundschaft, die harte Belastungsproben bestehen muß. Vielleicht gerade, weil hier der alt gewordene Idas mit dem Abstand von vierzig Jahren auf das Geschehene zurück blickt, kann der Leser seine Gedanken und Gefühle gut nachvollziehen. Stead lässt Idas ruhig und schlicht erzählen, sachlich und auch mit einer gewissen Portion Humor:

 

 

Er sagte, ich solle mir an den Raben ein Beispiel nehmen, die weder säten noch ernteten und doch satt würden, weil der Herr für sie sorgte.

...hätte ich ihm gern gesagt, er solle die Raben lieber einmal genau beobachten, statt blumige Sprüche über sie zu machen, denn obwohl sie selbstverständlich weder säten noch ernteten, hätten sie oft große Mühe, genug Futter zu finden.

 

Der Leser kann auch die brodelnde Stimmung in Judäa zur Zeit Jesu erfassen. Die anschauliche Schilderung verschiedener Begebenheiten zeigt sehr deutlich, wie die Menschen damals dachten und empfanden, wie viel Hoffnung sie auf einen Mann wie Jesus setzten. Selbst Judas, der kein tiefgläubiger Mensch sondern ein Skeptiker und Zweifler ist, wird zeitweise davon mitgerissen. In einer tiefen Depression, nach dem Tod seiner Frau im Kindbett, schließt er sich der Gruppe um Jesus an. Der Jugendfreund war der einzige Mensch, dem es gelang, die harte Schale der Trostlosigkeit um Judas aufzuweichen, ihm Ruhe und auch eine vage Hoffnung zu geben. Doch je mehr die unerträgliche Trauer langsam weicht und dem Blick auf den Alltag wieder Platz macht, um so skeptischer und zweifelnder wird Judas.

Stead gelingt es, dem Leser diesen Prozeß begreifbar und erfahrbar zu machen. Sein Judas/ Idas ist ein Mann, der im Hier und Jetzt lebt. Jesu Predigten über das schöne Leben im Jenseits lassen ihn aufbegehren.

 

 

Die Jesusgeschichten mit der Verheißung eines paradiesischen Daseins nach unserem Tode machten mich wütend. Für mich waren es leere Versprechungen, meiner Meinung nach sollten uns die damit verbundenen Drohungen von den Grausamkeiten ablenken, die Menschen anderen Menschen im wirklichen Leben antun.

 

Die Erzählung ermöglicht es dem Leser, Judas' Gedanken nachzuvollziehen und zu begreifen, warum sich ein Keil zwischen die Freunde schiebt und ein tiefer Riss Judas von den anderen Jüngern trennt.

Über Glauben

Möglicherweise haben gläubige Christen Probleme mit diesem Buch. Zwar hält sich der Autor bei der Handlung des Romans zumindest in den letzten beiden Dritteln an die gleiche Geschichte, die auch in den Evangelien erzählt wird, allerdings betrachtet er sie durch die Lupe der Vernunft. Und so wird nachvollziehbar, wie aus ganz normalen Vorkommnissen plötzlich Wunder werden können und Legenden entstehen.

 

 

,Hast du gehört, was Johannes über Jesus gesagt hat?', fragte er mich. ,Er hat gesagt, Jesus sei sein Herr und Meister.'

Ich schüttelte den Kopf und wunderte mich über die blinde Begeisterung des jungen Burschen. ,Ich wüsste nicht, dass er überhaupt etwas über Jesus gesagt hätte.'

,Hast du denn nicht zugehört? Er hat gesagt, einer würde kommen, dem er nicht die Sandalen... Schnüren dürfe', nahm ich ihm das Wort aus dem Mund.

,Ich weiß. Damit hat er den Messias gemeint.'

Bartolomäus verdrehte die Augen. , Idiot! Er meinte Jesus!'"

 

Judas erkennt, das Jesus seine Anhängerschaft manipuliert und auch unter den Jüngern eine sehr undurchsichtige Personalpolitik pflegt. Gleichzeitig wird jedoch auch er vom Strom der Ereignisse mitgerissen und hat ihnen schließlich nichts mehr entgegenzusetzen:

 

 

Wäre Jesus kein so begnadeter Redner gewesen, wäre es vielleicht möglich gewesen, dieses einfache Leben fortzuführen. Doch da seine Redegabe die Menschen auf den Gedanken brachte, er könne der Retter sein, den Israel herbeisehnte und den die alten Propheten angekündigt hatten, konnte er keine unverdächtigen Predigten halten und kein einfaches leben führen. Sein Talent verurteilte ihn zu Ruhm - mit allen Folgen.

 

Als Jesus in einer seiner Reden die Macht tatsächlich für sich beansprucht, zweifelt Judas offen. Dies schließt ihn zwar noch nicht aus dem Kreis der Jünger aus, jedoch wird sein Unvermögen in Sachen Glauben offenbar. Stead zeigt hier mit wenigen Mitteln und einer ganz einfachen, klar strukturierten Sprache auf, wie schnell aus einer eingeschworenen Gemeinschaft ein misstrauischer und lauernder Haufen wird. Und auch, wie schnell ein Mensch aufgrund bloßen Misstrauens und aufgrund einer anderen Denkungsart zum Verräter gestempelt wird.

Während Jesus sich immer mehr in eine religiöse Ekstase und einen nahezu fanatischen Opferwahn hinein steigert, verzweifelt Judas an der Rettung des Freundes der sich nicht retten lassen will. Und so bleibt ihm nur, das Sterben seines besten Freundes zu begleiten. Alles, was Judas sich bis zu Jesu Tod an Glauben bewahrt hatte, zerbricht, als er die Kreuzigung des Freundes mit ansehen muß.

 

 

Am wütendsten war ich auf mich selbst, denn ich hatte es kommen sehen und war zu schwach und unentschlossen gewesen, um ihn davon abzubringen. Ich hatte ihn nicht vor sich selbst retten können oder, auch so kann man es sehen, vor dem allmächtigen Peiniger, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, dessen Sohn zu sein er sich eingebildet hatte.

 

Vielleicht gerade deshalb, weil Stead in seinem Buch mit Emotionen nicht gerade verschwenderisch umgeht, berührt dieser Bericht zutiefst und der Leser versteht, was es heißt, "vom Glauben abzufallen".

Ein bleibendes Leseerlebnis

Mein Name war Judas zieht den Leser schnell in den Bann. Gerade die unaufgeregte Erzählweise, die leise Trauer, die über der gesamten Erzählung liegt, lassen den Leser schnell eintauchen in die Atmosphäre Judäas zur Zeit Herodots und unter der Herrschaft Roms. Dies ist ein Buch, das gelegentlich schmunzeln lässt. Und mitunter denkt man beim Lesen, dass man sich die gleiche Frage wie Judas auch schon immer gestellt hat, aber nie eine verständliche Antwort darauf bekam. Das Buch lässt den Leser die Entstehung einer eher lockeren Jugendfreundschaft miterleben, ihre Vertiefung und schließlich auch ihr Ende. Und obwohl es keine großen Worte macht ist dies ein Buch über die ganz großen Gefühle im Leben eines Menschen: Freundschaft, Glauben, Hoffnung, Verzweiflung und letztendlich auch die Liebe. Dieses Buch wirkt lange nach in unseren Gedanken, es ist ein bleibendes Erlebnis. Sollte man gelesen haben!

Mein Name war Judas

C. K. Stead, Eichborn

Mein Name war Judas

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