Die Kunst des Scharfrichters und der Nutzen des Schafotts

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  • Erschienen: Januar 2011
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  • , 2011, Titel: 'Die Kunst des Scharfrichters und der Nutzen des Schafotts', Originalausgabe
Die Kunst des Scharfrichters und der Nutzen des Schafotts
Die Kunst des Scharfrichters und der Nutzen des Schafotts
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Annette Gloser
951001

Histo-Couch Rezension vonJan 2013

Der Scharfrichter, als moralische Anstalt betrachtet

Kurzgefasst:

David Samson ist Scharfrichter in der französischen Provinz zur Zeit der Revolution. Ein Profi sozusagen, aber sein Job ist bedroht - nicht etwa, weil er das Schwert nicht mehr mit der gleichen Kunstfertigkeit führte wie früher. Nein, es ist die Guillotine, jenes Gerät, das auch ein Dilettant bedienen kann. Und es ist "das Geschrei nach der Vernunft", also die Aufklärung, die ihn früher oder später arbeitslos machen wird. Mit ererbtem Beharrungsvermögen stellt sich Samson den gesellschaftlichen und geistigen Umwälzungen entgegen, zumal sie auch in seine Familie einzubrechen beginnen. So zeigt sein Sohn Paul wenig Begabung, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Seiner Zartheit gelingt es gerade noch, das Fallbeil des Schafotts zu lösen, worin der übermächtige Vater versagt.

 

David Samson übt das Amt seines Vaters, seines Großvaters und vermutlich noch einiger anderer Vorväter aus: Er ist Scharfrichter, irgendwo in Frankreich, nicht allzu weit weg von Paris, genauer erfährt man es in diesem Buch nicht. Und David Samson ist auch nicht identisch mit Charles Henri Sanson, dem Scharfrichter der französischen Revolution, der in Paris fast dreitausend Hinrichtungen durchführte und unter anderem Louis XVI. enthauptete. Die ähnlich klingenden Namen verführen allerdings, nach Parallelen zu suchen und dies liegt wohl durchaus in der Absicht des Autors.

Samson lebt mit seiner Familie zurückgezogen. Sein Haus ist wohl bestellt, es gibt genug zu essen und reichlich Feuerholz. Die Messe hört er abgeschieden vom Rest der Gemeinde in seinem Henkerkoben und er findet das auch völlig in Ordnung. Ein Scharfrichter darf sich nicht gemein machen mit denen, denen er vielleicht einmal den Kopf abschlagen muß. Und Samson beherrscht sein Handwerk. Er ist kein Pfuscher, der die Leute zerhackt und damit Volkstumulte am Fuße des Schafotts auslöst. Genau zwischen dem dritten und vierten Wirbel muß ein Hals durchschlagen werden, so, und nicht anders.

Aber dann hält die Revolution Einzug in Frankreich und alles verändert sich. Der König wird auf seiner Flucht wieder eingefangen und der Abdecker Briand, Abschaum vom tiefsten Grund der Gesellschaft, inspiziert als Jakobiner und wahrhafter Sansculotte die Titten der ortsansässigen Huren, um sie zur Truppenbetreuung an die Fronten des Bürgerkriegs zu schicken.

Auch Samson ist plötzlich ein gefragter Mann, denn die neuen Mächtigen im Stadtrat fragen ihn um Rat. Eine neue Köpfmaschine soll eingeführt werden. So etwas ist in England schon im Gebrauch und viel humaner als die alte Methode mit dem Schwert. Samson wehrt sich gegen die neue Maschine, die selbst ein Kind ohne jede Kunstfertigkeit bedienen könnte. Aber er, umschmeichelt und hofiert, kommt gegen den Atem der neuen Zeit nicht an.

So kämpft Samson gegen Windmühlen und dabei gerät ihm seine Familie aus dem Blick. Natürlich hat er seine schöne Tochter Jeanne in beste Hände gegeben und sie mit dem zwar pferdeköpfigen, aber hinrichtungstechnisch akzeptablen Henker von Boulon verheiratet. Sohn und jüngere Tochter jedoch gehen seltsame Wege. Zwar übt der Sohn täglich auf dem Hof das Köpfen für sein zukünftiges Handwerk, aber er ist viel zu zart und weich. Und Julie, die schiefmäulige Tochter, geht lieber zum Brunnen und tratscht, statt zu Hause zu putzen.

Und während die Revolution ihr blutiges Werk verrichtet, erkennt Samson, dass alle seine Werte, sein Können, alle seine Vorstellungen von der Welt, plötzlich sinnlos geworden sind. Und auch die Henker werden nie wieder sein, was sie einmal waren.

Grüblerisch und faszinierend

Nein, moralische Wertungen sind Samsons Sache nicht. Allerdings hat er eine festgefügte Vorstellung davon, welche Rolle er als Scharfrichter in der Gesellschaft spielt und wie wichtig sein Beruf für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung ist. Samsons Welt ist so bürgerlich und durchschnittlich wie es nur eben möglich ist. Zwar lebt er zurückgezogen in einem Haus ohne Fenster, aber das Bemühen des Familienvaters dreht sich darum, die Familie mit Nahrung und Holz zu versorgen, den Sohn in sein Handwerk einzuführen, die eine Tochter gut zu verheiraten, den guten Ruf der anderen Tochter zu wahren. Der Henker wird von Zwißler als ein Mann mit sehr gradlinigem Denken und Handeln beschrieben:

 

 

Ein Scharfrichter nimmt nichts, er gibt nichts. Er ist der unbestechliche Arm der Ordnung und des Rechts. Mag sein, dass der Mensch des Menschen Wolf ist, weil Hunger den Menschen wölfisch macht. Aber er, Samson, ist das Zeichen, das diesen Wolf niederwirft mit dem Schwert, unabhängig davon, ob der Mensch satt ist.

 

Der Roman wird aus der Sicht Samsons erzählt. Zwar tritt er selbst nicht als Erzähler in den Vordergrund, aber der Autor verfolgt das Grübeln, die Konflikte und das Zweifeln vor allem aus dem Blickwinkel des Scharfrichters. Der Sprachduktus entspricht dem eines einfachen, nachdenklichen Mannes. Ruhig, fast ein wenig schwerfällig, ohne große Gedankensprünge, aber immer wieder Ungewöhnliches aufgreifend, wird die Erzählung voran getrieben. Dabei entstehen immer wieder Situationen, die dem Leser das Schauern über den Rücken treiben können, z.B. wenn Samson darüber sinniert, welche Kunstfertigkeiten sein Vater und sein Großvater noch besaßen und wie wenig davon zu Samsons Zeiten noch gebraucht wird. Oder wenn er mit einem Kollegen debattiert, ob der Scharfrichter ein monatliches Gehalt beziehen oder doch besser nach Stückzahl entlohnt werden sollte. Dies alles mit der gebührenden Ernsthaftigkeit, die den grundlegenden Dingen des Lebens zugemessen werden muß. Mag es uns auch makaber erscheinen, es ist Samsons Denkweise, es ist seine Art, die Welt zu betrachten. Zwißler zeigt uns einen soliden Handwerker, der um die Kunstfertigkeit seiner Arbeit weiß und auch um den Nutzen, den diese Arbeit der Gesellschaft bringt. Einen Kunsthandwerker, sozusagen. Und so verbreitet dieses Buch eine morbide Faszination, die den Leser durchaus in den Bann schlagen kann - auch wenn er gelegentlich schmunzeln, eine Gänsehaut verkraften oder den Kopf schütteln muß.

Frischauf, der Freiheit Kämpferscharen!

Wird Samson als konservativ denkender Mensch gezeigt, so sind seine Gegenspieler von anderem Schlag. Da ist der Gerichtsschreiber Breton, der sich um Gerechtigkeit und soziale Veränderungen bemüht, letztendlich aber in den Sumpf der Revolution abgleitet und Stück für Stück die früheren Ideale verrät. Und da ist der Abdecker Briand, auf dessen schäbiges Gewerbe Samson herab schaut, der jedoch im Enthusiasmus der Revolution als Gleicher unter Gleichen von den Jakobinern angenommen wird und dies mit lautstarkem und alkoholgeschwängertem Revoluzzertum quittiert. Zwißler gelingt es im Verlauf des Buches, die revolutionäre Situation im Land greifbar und begreifbar darzustellen. Die Akteure der Revolution stehen mit eher scheinheiligem Gelaber gegen die sture Ehrlichkeit des Totmachers.

Letztendlich verzweifelt Samson an der Revolution. Seine Argumente gegen die Guillotine werden beiseite gefegt. Der Leser kann im Verlauf der Auseinandersetzung zwischen Samson und Breton auch die Veränderungen im Denken der Protagonisten nachvollziehen. So steht Breton zunächst für Vernunft und äußert sich gegen die Todesstrafe, umwirbt später jedoch Samson weil Scharfrichter gebraucht werden, um neue Verbrechen zu bestrafen:

 

 

Auch der Gerichtsschreiber Breton war unter die Aufrührer gegangen. Das Verbrechen nehme zu. Nicht das alte und rohe Verbrechen, wo einer hemmungslos morde und totschlage. Die Nation werde ein neues Verbrechen aufdecken, nämlich wider den Willen und die Freiheit der Nation zu sein.

 

Als zu Beginn der Revolution Hinrichtungen ausgesetzt werden, muß Samson als Kerkermeister arbeiten. Diese Aufgabe widerspricht völlig seiner Auffassung von Recht und Gesetz. Der Aufruhr dringt bis in seine Familie und er muß es machtlos mit ansehen.

So skurril manche Überlegungen des Scharfrichters sein mögen, so wird dem Leser doch nach und nach bewusst, dass seine Argumente gegen die Guillotine nicht von der Hand zu weisen sind. Und während die Aufrührer noch von medizinischen Aspekten schwafeln und davon, wie viel sicherer der Tod unter dem Fallbeil ist, ebnen sie den Weg für die Vernichtungsmaschinerie. Denn Samson hat sein Handwerk mit jahrelanger Übung und großer Ernsthaftigkeit erlernt. Für die Guillotine ist keine Lehrzeit nötig. Jedes Kind kann sie bedienen, selbst der zarte, weiche Paul, der es wohl nie lernen würde, das Schwert kraftvoll zu schwingen und einen Hals genau zwischen den richtigen Wirbeln zu treffen. Eine Hinrichtung bekommt damit beklemmende Beiläufigkeit. Sie ist keine am Einzelfall zelebrierte Kunst mehr, sondern wird zum Massenprodukt.

Keine Bettlektüre

Die Kunst des Scharfrichters und der Nutzen des Schafotts ist keine kuschelige Lektüre vor dem Einschlafen. In diesem Buch werden viele Grausamkeiten geschildert, die wenigsten davon begeht der Scharfrichter. Hanns Peter Zwißler ist ein beklemmend realistisches Buch über die erste Phase der Großen Französischen Revolution gelungen, ein Buch, das nachdenklich stimmt und dem Leser viel zu verkraften gibt. Ein außergewöhnliches Thema und eine gelungene Erzählung, in sich stimmig, in die Tiefe gehend und mit philosophischem Anspruch.

Der Verlag hat dem eher schmalen Bändchen zwar nur Taschenbuchausstattung verliehen, dafür ist das Cover jedoch aussagekräftig und eigenwillig gestaltet. Trotz der martialischen Abbildungen darauf ein Lichtblick im Dschungel der abgeschnittenen Frauenportraits. Insgesamt ein mutiges Unterfangen für das dem Verlag großer Dank gilt, denn dieses Buch wendet sich nicht an die Masse der Durchschnittsleser.

Ein sehr empfehlenswertes Buch. Wann die richtige Zeit dafür ist, mag der Leser entscheiden.

Die Kunst des Scharfrichters und der Nutzen des Schafotts

Hanns Peter Zwißler, -

Die Kunst des Scharfrichters und der Nutzen des Schafotts

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