Irrlicht

  • Fischer
  • Erschienen: Januar 2012
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  • Fischer, 2010, Titel: 'Ghost Light', Originalausgabe
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Almut Oetjen
881001

Histo-Couch Rezension vonNov 2012

Jeder trägt einen Garten Eden in sich

Kurzgefasst:

Dublin 1907: Die Affäre zwischen der jungen Schauspielerin und dem berühmten Autor prägte ihr beider Leben für immer. Doch so wie auf jeder Bühne der Welt das Licht die ganze Nacht brennt, um den Saal für die Gespenster zu erleuchten, strahlt das Irrlicht dieser Beziehung bis in die verborgensten Seelenwinkel der Liebenden - und erlischt auch nicht mit dem Tod.

 

Im Dublin des Jahres 1907 beginnt Schauspielerin Molly Allgood als Teenager eine Beziehung mit dem Dramatiker John Synge. Beide arbeiten am gleichen Theater. Molly ist schön, selbstbewusst, ihre Verehrer stehen Schlange, sie träumt von einer Karriere in den USA.

Im Herbst 1952 wird London von einem Hurrikan heimgesucht, Weihnachten steht vor der Tür. Die 67-jährige und einsame Molly streift durch die Stadt, durch Orte der Zerstörung und Parkanlagen. Es ist der Winter ihres eigenen Lebens. In ihrem Zimmer, das sie in einer heruntergekommenen Pension bewohnt erinnert sie sich an ihre Vergangenheit und bereitet sich auf ein mögliches Engagement durch die BBC vor.

"Mein Arsch mit Petersilie"

Irrlicht ist inspiriert durch die Biografien der irischen Schauspielerin Molly Allgood (1885-1952), die den Künstlernamen Maire O'Neille trug, und des irischen Dramatikers Edmund John Millington Synge (1871-1909), der mit William Butler Yeats und Lady Gregory das Abbey Theatre gründete. Weitgehend jedoch handelt es sich um eine von den realen Vorbildern entfernte Fiktion. Wie weitgehend, lässt sich nicht feststellen, ohne in die Biografien der realen Vorbilder einzutauchen. Und auch da wären es allein die Fakten. Wie sah das Gefühlsleben Mollys in der Liebe zu John, im Umgang mit den Widerständen, während ihres sozialen und - vielleicht auch - seelischen Abgleitens aus?

Die Molly, die O'Connor den Lesern nahe bringt, ist zwar vom Leben gezeichnet, eine ältere Trinkerin, arm und einsam, sozial unten angekommen und damit vielleicht in der Mitte der Gesellschaft ihrer Zeit. Aber sie ist zugleich eine lebensfrohe Frau, verspielt und unschuldig, vulgär und herzlich. Schön die Szene, in der sie ein Polizist anspricht, als sie auf dem Weg ist, leere Flaschen abzugeben. Er betrachtet sie mit Argwohn, bis sie ihre Oberschichtstimme erklingen lässt, sich ihm schauspielernd als "Mrs de Winter. Rebecca." vorstellt und ihm von den großen Zeiten des Viertels erzählt. Er hingegen warnt sie vor einer unangenehmen Frau, die sich im Viertel als Schauspielerin interessant zu machen versucht, um die Angesprochenen anbetteln zu können.

Molly liebte John, der sich von ihr stark unterschied, vierzehn Jahre älter war, schwer krank, einer anderen Klasse und Religion zugehörte und bei seiner Mutter lebte. Die Theaterleute und die Familien Mollys und Johns standen der Beziehung ablehnend gegenüber. Molly war seine Muse, sie hat sich um den Kranken gekümmert und gesorgt. Bis zu Johns Tod waren sie verlobt, wollten heiraten und den Unterschieden, die ihr Leben bestimmten, entkommen.

Wer spricht?

Die dominante Erzählerstimme O'Connors ist die zweite Person Singular mit gelegentlichen Einschüben in der Ich-Form. Beides sind Stimmen Mollys und erlauben ein Wechselspiel aus Distanz und Intimität, zugleich auch Hinweise darauf, dass Mollys Verstand instabil sein könnte. Molly lebt allein in ihrem Apartment. Gelegentlich imaginiert sie die Anwesenheit Johns. Kontakte zu anderen Menschen hat sie nur außer Haus. Dort verstellt sie sich gerne und scheint daran zu glauben, dass die von ihr vermittelte Person beim Gegenüber wunschgemäß wahrgenommen wird. Aber ihre Verstellung wird von manchen Menschen erkannt. Eine weitere Stimme erzählt in der dritten Person Singular, der Sie-Form.

Die Zeit wechselt zwischen dem frühen zwanzigsten Jahrhundert und dem letzen Viertel des Jahres 1952, überwiegend auf einen Tag beschränkt. Das letzte nummerierte Kapitel liefert eine Ortsangabe und den Text auf Mollys Grabstein. Es folgt ein Epilog, der Molly das abschließende Wort gibt, als erzählendem Ich in einem Brief an John, der in ihrem Nachlass gefunden wird.

Fazit

Irrlicht erzählt eine große Liebesgeschichte als Erinnerung. Molly ist ein wundervoller Charakter, eine Frau, teils nach realer Vorlage gestaltet, teils von O'Connor imaginiert, die man durch die Erzählung lieb gewinnt. Die Gedanken Mollys mäandern, und der Roman gewinnt, wenn man ihn langsam liest und seine Details aufsaugt. Dies bedeutet aber auch, dass man ihn hochkonzentriert lesen muss, da ansonsten die Gefahr besteht, dass die eigenen Gedanken sich von der Handlung wegbewegen. Kein Buch also für Leserinnen und Leser, die Liebhaber der schnellen Lektüre sind.

Irrlicht

Joseph O'Connor, Fischer

Irrlicht

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