Die Sklavin des Sultans

  • Page & Turner
  • Erschienen: Januar 2012
  • 1
  • Page & Turner, 2012, Titel: 'The Sultan's Wife', Originalausgabe
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Eva Schuster
931001

Histo-Couch Rezension vonSep 2012

Bewegendes und farbenprächtiges Abenteuer aus Tausendundeiner Nacht

Marokko 1677: Der launenhafte und gefährliche Sultan Mulai Ismail führt ein strenges Regiment in seinem prächtigen Palast von Meknès. Der junge afrikanische Eunuch Nus-Nus wird hier als Sklave gehalten und dient dem Herrscher als Schreiber. Zudem muss er regelmäßig Botengänge für Zidana, die einflussreiche und intrigante Hauptfrau des Sultans, erledigen - eine brisante Angelegenheit, da Zidana eine gefürchtete Giftmischerin ist.

Eines Tages wird die junge Engländerin Alys Swann auf der Reise zu ihrem Verlobten von Piraten entführt und gelangt an den Palast von Meknès. Der Sultan ist beeindruckt von ihrer weißen Haut und den blonden Haaren und nimmt sie in den Harem auf. Schon bald wird sie zu seiner Nebenfrau und genießt seine besondere Gunst.

Während Nus-Nus und Alys Freundschaft schließen, ist Zidana der "weiße Schwan" ein Dorn im Auge. Sie fürchtet um ihren Einfluss am Hof; erst recht, als Alys dem Sultan einen Sohn gebärt. Nus-Nus spürt rasch, dass das Leben der jungen Engländerin in großer Gefahr ist; ebenso wie er selbst, da er beständig zwischen den grausamen Sultan, Zidana und den hinterhältigen Großwesir Abdelaziz gerät. Und mehr noch: Nus-Nus empfindet für Alys bald weit mehr als freundschaftliche Gefühle und ist bereit, für sie und ihren Sohn sein Leben zu riskieren ...

Spannung und historischer Detailreichtum

Ausgangsbasis für dieses Werk ist die Zeit des Sultans Mulai Ismail, der von 1672 bis 1727 über Marokko herrschte. In ihrem faszinierenden Roman Die Sklavin des Sultans werden die fiktiven Figuren Alys Swann und Nus-Nus eingebunden in authentische Ereignisse in der Regierungszeit Ismails, der nicht umsonst den Beinamen "der Blutrünstige" trug.

Trotz des Umfangs von mehr als fünfhundert Seiten wird die Spannung beständig aufrechterhalten. Das Leben von Nus-Nus ist nahezu unentwegt in Gefahr und man bangt um ihn: Der Sultan hat gefährliche Launen und tötet oft spontan und willkürlich seine Untergebenen, was er kurz darauf wieder vergessen zu haben scheint, jeder Fehltritt kann einen Palastbewohner den Kopf kosten, jedes Wort will wohlüberlegt sein. Zidana wiederum braucht Nus-Nus einerseits zwar für diverse prekäre Erledigungen, für die sie nicht jeden Boten einsetzen kann, er weiß aber auch, dass sie im Zweifel die Macht hat, ihn ausschalten zu lassen, wenn er ihr lästig oder gefährlich wird. Der dritte Mensch, der Nus-Nus immer wieder bedroht, ist der Großwesir Abdelaziz. Abdelaziz ist derjenige, der Nus-Nus seinerzeit auf dem Sklavenmarkt erwarb; bereits kurz nach der Kastration vergewaltigte er ihn mehrmals, und auch im Palast versucht der Großwesir bei jeder Gelegenheit, Nus-Nus gefügig zu machen. Alys muss sich in erster Linie vor Zidana in Acht nehmen, die nicht duldet, dass eine andere Frau ihr ihren Rang im Palast streitig macht. Das Gleiche gilt für ihren Sohn Mohammed, den sie liebevoll Momo nennt - jeder männliche Nachkomme ist für Zidanas Sohn eine Konkurrenz um den Thron, sodass stets befürchtet werden muss, dass sie einen Anschlag auf ihn verübt.

Der Palastalltag im Marokko des 17. Jahrhunderts wird detailreich und anschaulich vergegenwärtigt. Das religiöse Leben, das Essen, Hygiene, Schönheitspflege und Kleidung werden in die Handlung einbezogen, sodass der Leser eine gute Vorstellung von dieser vielleicht doch recht fremden Welt erhält. Doch nicht nur ausgiebige und farbenfrohe Schilderungen des marokkanischen Alltags zur Zeit von Ismail werden vermittelt; Nus-Nus' Versuch, Alys und ihren Sohn Momo zu retten, führt ihn bis an den englischen Hof. Geschickt verbindet Jane Johnson hier Historie mit Phantasie: Die geschichtliche Basis für diesen Handlungsteil bildet der sechsmonatige Aufenthalt des marokkanischen Gesandten Mohammed ben Hadou am Hof König Charles II., um mit ihm ausgiebige Verhandlungen zu führen. Nus-Nus begleitet ben Hadou als Schreiber und versucht zugleich, eine Mission zur Rettung von Alys und Momo auszuführen. Überlieferungen nach war ben Hadous Aufenthalt in England ein vielbeachtetes Großereignis, und man gewinnt eine gute Vorstellung davon, wie exotisch die fremdländischen Menschen auf die damalige Gesellschaft gewirkt haben müssen, je nach Gemüt und Charakter schwankend zwischen Faszination und Irritation. Ebenso staunend nimmt Nus-Nus wiederum die abendländische Welt dar, und man erfährt durch seine Sicht viele Details zum London in der Barockzeit und zum Leben am englischen Königshof unter anderem begegnet Nus-Nus hier auch keinem Geringeren als Henry Purcell, Englands wohl bedeutendstem Komponisten, der gerade ein Stück komponiert, das später als "Dido und Aeneas" in die Musikgeschichte eingehen wird. Charles II. wird als vielschichtiger, intelligenter Mann mit Sinn für hintergründigem Humor gezeichnet und ist auf Anhieb eine sympathische Figur. Vor allem in den Handlungsteilen, die in England spielen, ist hin und wieder auch Platz für dezent amüsante Szenen, die kurzzeitig etwas Leichtigkeit in die sonst meist dramatischen Ereignisse bringen.

Gelungene Charaktere

Im Mittelpunkt steht Nus-Nus, der über weite Strecken des Romans als Ich-Erzähler fungiert. Dargestellt wird er als sehr komplexer Charakter, anfangs auch geheimnisvoll, denn nur nach und nach erfährt man etwas über seine Herkunft. Trotz seines grausamen Schicksals hat er sich seinen Stolz bewahrt und besitzt nicht nur aufgrund seiner beeindruckenden Größe eine würdevolle Ausstrahlung. Nus-Nus ist klug und umsichtig und handelt vor allen Dingen immer nachvollziehbar für den Leser. Von Beginn an nimmt man Anteil an seinem Schicksal und sehnt sich ein gutes Ende für ihn herbei. Die Kapitel, die nicht aus seiner Sicht erzählt werden, lassen Alys sprechen. Auch ihr gelingt es, sich in ihre Zwangslage so gut es geht einzufügen. Um ihr Leben zu retten, nimmt sie augenscheinlich den muslimischen Glauben an und gibt sich gegenüber dem Sultan gefügig, auch wenn sie sich nach Freiheit sehnt. Schon in ihrem ersten Aufeinandertreffen und längerem Gespräch wird die Verbundenheit zwischen ihr und Nus-Nus deutlich, die sich zu tiefer Vertrautheit entwickelt.

Erstaunlich ist der sehr dezente Einsatz von erotischen Schilderungen. Das Setting mit den luxuriösen Bädern, den leidenschaftlichen Männern und dem Harem mit Hunderten schöner Frauen verleitet dazu, viele erotische Szenen einzubauen, doch hier hält sich die Autorin sehr zurück. Freilich gibt es einige sinnliche Momente, insbesondere wenn Nus-Nus mit Herzklopfen an seine verehrte Alys denkt, doch das Werk ist frei von plakativen Schilderungen. Der Roman belässt es bei dezenten Andeutungen und setzt nur wenige Sätze für sexuelle Ereignisse ein; ein Kuss ist alles, wozu sich Nus-Nus gegenüber Alys hinreißen lässt. Zwar begreift Nus-Nus im Laufe der Handlung, dass er trotz seiner Entmannung zum Verkehr fähig ist, doch sein körperlicher Zustand ist stets ein Makel für ihn, der ihn diesbezüglich hemmt.

Kritisieren kann man im Grunde nur, dass der kleine Momo mehrfach deutlich älter wirkt als drei, vier Jahre, was sein Verständnis und seine Ausdrucksfähigkeit angeht. Vor allem als er tapfer erklärt, er dürfe vor seinem Vater nicht als Schwächling dastehen, wirkt er gewiss nicht wie ein dreijähriger Junge, sondern ein paar Jahre älter.

Unterm Strich präsentiert sich Die Sklavin des Sultans somit als ausgesprochen unterhaltsamer und fesselnder Abenteuerroman mit reizvollen Charakteren vor exotischer Kulisse - eine märchenhafte Lektüre, bei der die Zeit im Nu verfliegt.

Die Sklavin des Sultans

Jane Johnson, Page & Turner

Die Sklavin des Sultans

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