Ich habe einen Namen

  • DuMont
  • Erschienen: Januar 2012
  • 2
  • DuMont, 2007, Titel: 'The Book of Negroes', Originalausgabe
Ich habe einen Namen
Ich habe einen Namen
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Rita Dell'Agnese
941001

Histo-Couch Rezension vonAug 2012

Er nannte mich eine Afrikanerin

Kurzgefasst:

Westafrika, Mitte des 18. Jahrhunderts. Die kleine Aminata lebt mit ihren Eltern in einer friedlichen Dorfgemeinschaft. Doch der Sklavenhandel blüht, auf den Plantagen der neuen Kolonien braucht man Arbeitskräfte, und die britischen Machthaber sind skrupellos. Als Aminata elf Jahre alt ist, wird ihr Dorf überfallen und sie gefangengenommen. Auf einem Frachter bringt man sie mit vielen anderen Sklaven nach Amerika, wo sie an einen Großgrundbesitzer verkauft wird. Während der Wirren des Unabhängigkeitskriegs gelingt Aminata die Flucht. Sie folgt ihrem Herzen zurück nach Afrika und von dort nach London, um für die Befreiung der Schwarzen zu kämpfen. Ihre Geschichte ist das eindrückliche Porträt einer unglaublich starken Frau, die es geschafft hat, schwierigste Bedingungen zu überleben und dabei anderen zu helfen. Es ist eine Geschichte, die man nicht wieder vergisst, voller Hoffnung und Zuversicht.

 

Seit Harriet Beecher Stowe Mitte des 19. Jahrhunderts mit ihrem Roman Onkel Toms Hütte Aufsehen erregte, sind etliche Romane über die Gräuel der Sklaverei erschienen. Nur wenige von ihnen erreichten aber die selbe Durchschlagskraft wie der berühmte Vorgänger. Lawrence Hill könnte das durchaus gelingen. Der kanadische Autor legt mit Ich habe einen Namen ein eindrückliches Werk vor. Seine Protagonistin Aminata Diallo geht auf eine Art mit der Sklaverei um, die einen ganz neuen Blickwinkel zulässt. Das heißt nun aber nicht, dass der Autor die Gräuel der Sklaverei in Abrede stellt. Im Gegenteil: Das staunende Entdecken, mit dem Aminata das Wesen der Sklaverei kennen lernt, geht nahe.

Aminata ist noch ein Kind - allerdings an der Schwelle zur jungen Frau - als sie von Sklavenhändlern gefangen und nach Amerika verschifft wird. Zunächst hofft das Mädchen darauf, von den Angehörigen ihres Dorfes befreit zu werden. Erst nach und nach begreift sie, dass es für sie keine Freiheit geben wird. Doch Aminata hat längst gelernt, sich an die jeweilige Situation anzupassen und entwickelt einen unglaublichen Willen, zu überleben. Dabei kommt dem Mädchen die Erziehung zugute, die sie bis zu ihrer Versklavung genossen hat.

Eindrückliche Charaktere

Lawrence Hill erzählt nicht einfach eine Geschichte. Er lässt Aminata handeln, sprechen und überzeugen. Durch sie wird lebendig, was mit bloßen Worten niemals diese Intensität erreichen könnte. Dabei geht Hill dicht an die Figur heran: Aminata ist zunächst ein Kind mit staunenden Augen und einem Urvertrauen in ihre dörfliche Gemeinschaft. Dann wächst sie zu einer Frau heran, die sich auf eine ganz eigene Art gegen die Unterdrückung zur Wehr setzt: Sie begegnet ihr mit einem ungebrochenen Interesse und findet für sich immer wieder eine Nische, in der sie sich bewegen und entwickeln kann. Dabei kommen ihr einerseits ihr Pragmatismus, andererseits aber auch ihre Intelligenz und ihre schnelle Auffassungsgabe entgegen. Durch Aminata kann sich der Leser ein sehr genaues Bild dessen machen, was die versklavten Menschen in ihrer neuen "Heimat" erwartet. Lawrence Hill erspart seinem Publikum die Details nicht. Ob es sich nun um eine vor Maden wimmelnde, faulige Leiche handelt, in die Aminata auf ihrem Marsch an die afrikanische Küste tritt, um die von Fäkalien und Blut stinkende Ladefläche des Schiffes, das die Sklaven nach Amerika bringt, oder um die Zustände, unter denen die Menschen in der Sklaverei zu leiden haben: Hill spricht eine deutliche Sprache und spart nicht an Details. Für seine Erzählkunst spricht, dass dennoch nie der Eindruck entsteht, als ob hier ein voyeuristisches Gruseln erzeugt werden soll.

Auseinandersetzung erwünscht

So unmenschlich die Situation auch ist, Aminata bringt mit ihrer - zeitweise kindlich naiven - Erzählung eine leichtere Note hinein. Vielleicht ist es gerade diese, die dem Roman seine Tiefe verleiht. Es wird keine gehässige Anklage erhoben, doch genau das löst den Impuls aus, sich mit aller Macht gegen die Sklaverei zu stellen. Besonders raffiniert ist die Darstellung mit zwei Erzählebenen. Die längst betagte, aber noch äußerst agile Aminata stellt sich in London einer Vereinigung zur Verfügung, die für die Abschaffung der Sklaverei kämpft. Mit dem Witz und der Weisheit des Alters verfolgt die einstige Sklavin, was auf dem politischen Parkett geschieht. Während ihres Aufenthalts in London blickt sie auf ihre Vergangenheit zurück. Diese Rückblenden erzählen vom Leben des jungen Mädchens, das erst in Amerika erfährt, dass sie eine Afrikanerin ist und was das bedeutet. Und sie erzählen von der Frau, die sich durchschlägt, auch wenn das Schicksal es gerade nicht besonders gut meint mit ihr. Diese Mischung aus Gelassenheit des Alters und Hoffnung der Jugend geben dem Roman Tempo und Tiefe.

Ich habe einen Namen ist so vielschichtig, dass sich die Leser noch lange mit der Geschichte beschäftigen werden, wenn sie längst die letzte Zeile gelesen haben. Aminatas Schicksal lässt kaum jemanden kalt. Dieser Roman berührt die Seele.

Ich habe einen Namen

Lawrence Hill, DuMont

Ich habe einen Namen

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