Der Geograph des Papstes

  • Insel
  • Erschienen: Januar 1998
  • 1
  • Insel, 1986, Titel: 'Léon L'Africain', Originalausgabe
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Carsten Jaehner
761001

Histo-Couch Rezension vonJul 2012

Kurzgefasst:

Italien zur Frührenaissance: Hassan al-Wazzan, ein gebildeter junger Mann und gläubiger Muslim, bereist als Kaufmann den Maghreb und hat den großen Wunsch, nach Mekka zu pilgern. Doch es sind unruhige Zeiten in einer unruhigen Gegend, es herrschen Überfälle und Kriege. Wie aus dem Nichts taucht eines Tages eine Bande sizilianischer Piraten auf, die Hassan nach Rom verschleppen und versklaven. Er ist ein Glücksgriff für die Piraten, denn Hassans wacher Verstand und seine außergewöhnliche Klugheit machen ihn zu einem besonderen Geschenk für den mächtigsten Mann der christlichen Welt: Papst Leo X. Dieser ernennt ihn zu seinem Geographen - doch wird er dem Vatikan jemals wieder entkommen können, seine Freiheit zurückerlangen und in seine Heimat, den Maghreb, zurückkehren?

 

Hassan al-Wazzan wird im Jahr 1489 als Sohn eines Waagemeisters geboren und wächst in Granada auf. Durch den Beruf des Vaters ist die Familie wohlhabender als andere, und so wächst Hassan in einem gehobeneren Umfeld auf als viele andere in Granada. Auch in dieser Zeit wird gekämpft und Krieg geführt, und so verlässt die Familie das Land über Almeria und flieht nach Fes in Afrika, als Hassan fünf Jahre alt ist.

Hier in Afrika lernt er seinen künftig besten Freund Harun kennen, mit dem er fortan seine Zeit verbringt. Er lernt lesen und schreiben und erhält Einblick in das Geschäftsgebaren seines Vaters und seines Onkels. Als seine Schwester Mariam an einen Schurken verheiratet werden soll, sorgen er und Harun dafür, dass die Hochzeit nichts stattfindet, allerdings müssen sie von nun an damit rechnen, vom verschmähten Bräutigam mit Rache überzogen zu werden.

Über die Jahre baut sich Hassan mehrere Familien auf, heiratet mehrere Male und bekommt Harun als Schwager. Er wird ein erfolgreicher Geschäftsmann mit Einfluss und wird eines Tages von Piraten gefangen genommen, die ihn nach Rom schleppen und ihn zu Papst Leo X. bringen, wo er seine Kenntnisse über Afrika weitergeben soll. Zunächst als Gefangener, später als freier Mann dient er dem Papst und kann schließlich einen geruhsamen Lebensabend verbringen.

Warten auf den Papst

Zunächst eine Vorwarnung: Wer sich von dem irreführenden Titel des Buches einnehmen lässt und eine intensive Auseinandersetzung mit dem Papst und der Hauptfigur erwartet, was bei der Titelwahl nur logisch wäre, dürfte sich schnell getäuscht sehen. Tatsächlich gibt der Titel nur einen winzigen und eigentlich noch nicht einmal wirklich prägenden Teil in Hassan al-Wazzans Leben wieder und passiert erst in einem kurzen Abschnitt im letzten Viertel des Buches. Der geneigte Leser sollte also seine Erwartungen in diese Richtung nicht zu hoch schrauben, wenn auch ebenso der Klappentext anderes vermuten lässt.

Tatsächlich erzählt Amin Maalouf die Lebensgeschichte Hassans, der in Andalusien aufwächst, mit seiner Familie nach Nordafrika fliehen muss und von da an ein ereignisreiches Leben führt. Dabei gelingt es dem Autor hervorragend, die Zeit und die Traditionen und die Stimmung einzufangen, die ein grosses Plus des Romans sind. Das Leben in Andalusien unter Besatzung und unter drohender Eroberung wird anschaulich beschrieben, und die grosse Familie mit ihren verschiedenen Charakteren tut ihr übriges dazu.

Akribische Beschreibungen

Wer hier wen warum heiratet, was man an Feiertagen macht, wie das Leben an sich so ist, all dies wird vom Autor eindrücklich geschildert und notfalls werden mit ein paar Fußnoten Begriffe erklärt. Diese Akribie, mit der der Autor beschreibt, zieht sich durch den ganzen Roman, und doch hat man als Leser nie das Gefühl, mit Sachinformationen überfrachtet zu werden. In diesen Rahmen bettet der Autor die Lebensgeschichte von Hassan ein.

Hassan selbst, Ich-Erzähler und Adressat an seinen Sohn, ist ein neugieriger, aufstrebender junger Mann bzw. Junge, der zunächst noch etwas naiv, später aber doch mehr im Leben stehend seine Schäfchen ins Trockene bringt. Sein Freund Harun, den er in Afrika kennen lernt, wächst mit ihm zusammen auf und sie besuchen dieselbe Schule, und doch ist Harun noch eine Spur frecher. Ihre Wege werden sich trennen und wie werden sich wiederfinden und dazwischen völlig verschiedene Lebensläufe gehabt haben. Doch alles beschreibt auch die Möglichkeiten der Zeit und ihrer Umstände.

Entwicklungslöcher

Immer wieder werden auch Andalusien und Afrika miteinander verglichen und es sind immer wieder aus politischen Gründen Überlegungen da, zurück nach Granada zu gehen. Doch gibt es auch immer wieder Umstände, die dies verhindern, eben wie im richtigen Leben. So schildert der Roman tatsächlich richtiges Leben zum Ende des 15. und Beginn des 16. Jahrhunderts. Ereignisse und Personen wie der Genuese Columbus oder andere werden in Nebensätzen eingeflochten und bringen somit noch einen kleineren globaleren Blick in die Geschichte.

Die Kapitel sind immer mit den jeweiligen Jahren überschrieben, und so vergeht die Zeit innerhalb des Romans sehr schnell, teilweise zu schnell, weil dadurch auch Entwicklungen übersprungen werden, was gelegentlich zu Lücken in der Erzählung führt und auch weitere vermuten lässt. So vermisst man auch, abgesehen, von Haruns Lebensgeschichte, eine Entwicklung der Handlung, weil von einem gewissen Punkt an im Buch nicht klar ist, wohin die ganze Erzählung eigentlich führen soll. Ein Spannungsbogen ist in dem Sinne nicht vorhanden, und letztlich wartet man immer darauf, dass der Papst aus dem Buchtitel endlich auftaucht, was jedoch erst im letzten Viertel passiert.

Klappentext weckt falsche Leseerwartungen

Diese Begegnung, aus der über die Jahre drei verschiedene Päpste werden, ist dann aber auch letztlich enttäuschend, ist sie doch lediglich eine Episode in Hassans Leben und keineswegs der Höhepunkt des Romans. Hier hätte der Autor dem Ereignis mehr Raum und somit Gewicht geben können, letztlich bleibt dieser Abschnitt so beliebig wie viele andere im Roman.

Insgesamt punktet der Roman durch seine intensiven Beschreibungen von Orten, Zeiten, Traditionen, Menschen und Begebenheiten, an manchen Stellen riecht man das Meer und die Märkte und wird stimmungsvoll durch die Buchseiten getragen. Die Handlung des Romans ist streckenweise interessant und lehrreich, enttäuscht jedoch im grossen Bogen. Zum Teil sehr kurze Kapitels sorgen für Handlungs- und Erzählungslöcher, die sich häufen, je länger der Roman dauert. Das ist schade, denn mit einer höheren Seitenzahl hätte die am Anfang hochgelegte Erzähllatte bestimmt gehalten werden können. Und es ist erstaunlich, wie ein Klappentext im Leser solche Erwartungen wecken kann, die später im Roman enttäuscht werden. So bleibt ein Roman, der nach hinten raus nachlässt und den Leser ein wenig unbefriedigt zurücklässt. Wer jedoch ein stimmungsvolles Bild der Zeit lesen möchte, kann hier auf jeden Fall zugreifen.

Der Geograph des Papstes

Amin Maalouf, Insel

Der Geograph des Papstes

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