Die Kinder der Finsternis

  • dtv
  • Erschienen: Januar 1959
  • 1
  • dtv, 1959, Titel: 'Die Kinder der Finsternis', Originalausgabe
Die Kinder der Finsternis
Die Kinder der Finsternis
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Birgit Stöckel
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Histo-Couch Rezension vonJun 2012

Ein Märchen aus dem 12. Jahrhundert, erzählt von einem Erzähler des zwanzigsten

Kurzgefasst:

Um den Aufstieg des Schäfers Barral, dessen Herkunft von Geheimnissen umwittert ist, rankt sich dieser Roman, der in einer Provence mit legendären Zügen spielt. Er spielt um 1100 von Schlachten und Freundschaften mit den 'Ungläubigen' - den kulturell enorm überlegenen Mauren aus der benachbarten Provinz -, von Kämpfen, Intrigen und Bündnissen mit den christlichen 'Brüdern', von Ritterturnieren, Minnedienst, Ehrengerichten, Aberglauben, Hexenprozesse; von Liebe und Heiratspolitik, Familienfehden und -zusammenhalt.

 

Mit dem als Überschrift verwendeten Zitat hat Wolf von Niebelschütz selbst einmal seinen Roman bezeichnet und damit eine treffende Charakterisierung abgegeben. Denn was dem Schäfer Barral in seinem Leben wiederfährt, sein steiler Aufstieg in die höchsten Kreise der Macht, sein Erfolg, aber auch seine Niederlagen, lesen sich tatsächlich wie ein Märchen. Und der Autor ist definitiv ein Erzähler, sogar ein ganz großer.

Ungewöhnliche, aber bezaubernde Sprache

Gewiss, Die Kinder der Finsternis ist kein Roman für Jedermann. Zu ungewöhnlich ist allein die Sprache, derer sich Wolf von Niebelschütz bedient.

 

 

Es lag ein Bischof tot in einer Mur am Zederngebirge fünf Stunden schon unter strömenden Wolkenbrüchen. (...) Fünf Stunden kauerte die Geliebte neben dem Gehassten, ...

 

So geht es weiter, melodisch, wort- und bildgewaltig, poetisch, schwärmerisch, manchmal fast schon pathetisch, manchmal auch klar und direkt. Wer sich darauf einlassen kann, den wird der Zauber dieser Sprache gefangen nehmen und atemlos und mitreißend durch die Geschichte führen. Es gibt einige altertümliche Worte, die heute kaum mehr verwendet werden, die sich aber entweder aus dem Zusammenhang erschließen oder eben nachgeschlagen werden müssen, was dem Genuss aber kaum Abbruch tut.

Es ist kein Buch, das sich so einfach nebenbei lesen lässt, zu komplex und weitgreifend ist die Geschichte. Wer täglich nur ein paar Seiten liest, dem entgeht viel, dieses Buch fordert und verdient die volle Konzentration und Aufmerksamkeit des Lesers. Zu komplex sind die Verwirrungen, zu groß die Vielzahl an Personen, die auftreten und da es kein Personenverzeichnis oder Glossar gibt, kann man leicht den Überblick verlieren, ist man nicht ganz bei der Sache. Einzig ein etwas unübersichtlicher Stammbaum ist am Ende des Buchs zu finden, doch der ist eigentlich nur als Orientierungshilfe für einen Wiedereinstieg gedacht, sollte man doch einmal gezwungen sein, länger zu pausieren, denn als Nachschlagewerk für jeden Lesetag.

Eine wunderbare, tiefreichende Erzählung

Die Geschichte spannt einen weiten Bogen durch fast das ganze 12. Jahrhundert und Wolf von Niebelschütz versteht es meisterhaft, seinen Lesern das damalige Leben, sowohl der einfachen Leute als auch der Mächtigen, nahezubringen. Er zeigt auf, wie tief Glaube und auch Aberglaube in den Leuten verwurzelt waren, welche Rolle die Kirche spielte, was es mit dem Lehnswesen auf sich hatte, wie sich geistliche und weltliche Herrscher um die Vorrangstellung stritten, erzählt von höfischer Minne, von dem Streit um die Investitur der Bischöfe, von Papst und Gegenpapst und von der Liebe.

Natürlich könnte man einwenden, dass es äußerst unwahrscheinlich ist, dass ein Schäfer (wenn auch von adeliger, illegitimer Abkunft) in solche Höhen aufsteigt, dass es die Inquisition dem allgemeinen Verständnis nach erst ab dem Anfang des 13. Jahrhunderts gab und nicht schon Mitte des 12. Jahrhunderts. Gerade in der heutigen Zeit, in der viele Leser historische Genauigkeit bis zum Letzten fordern, dürfte das einigen negativ auffallen. Doch es ist ein Roman und in einem Roman darf der Autor, im Gegensatz zum Sachbuch, sich Freiheiten herausnehmen, auch wenn das zunehmend in Vergessenheit zu geraten scheint. Und in einem Märchen erst recht! Oder stört sich ernsthaft jemand an einem sprechenden Tier in "Der gestiefelte Kater" oder einem Zauberding wie in "Tischlein-deck-dich"?

Dass es eine erfundene Geschichte ist, daraus macht der Autor auch keinen Hehl. Die allermeisten Protagonisten sind erfunden, nur wenige real existierende Personen treten auf. Auch die Gegend, in der die Handlung spielt, hat der Autor abgewandelt. Zwar lässt sich die Provence wieder erkennen, doch sind die Städte und Orte allesamt anders benannt und auch die politische Zugehörigkeit wurde verändert. So kann man die Erzählung einfach als das genießen, was sie ist: Eine spannende und wunderbare Geschichte, die einen in die Vergangenheit entführt und dort gefangen hält. Bis zur letzten Zeile.

Wolfgang von Niebelschütz ist mit Die Kinder der Finsternis ein meisterhafter historischer Roman gelungen. Anspruchsvoll, vielschichtig, komplex, fordernd, bezaubernd, verführerisch, fesselnd und prall wie das Leben selbst. Eine absolute Perle dieses Genres!

Die Kinder der Finsternis

Wolf von Niebelschütz, dtv

Die Kinder der Finsternis

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