Die Friesenhexe

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2012
  • 3
  • Heyne, 2012, Titel: 'Die Friesenhexe', Originalausgabe
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Rita Dell'Agnese
861001

Histo-Couch Rezension vonMai 2012

Einblick in friesisches Volksgut

Kurzgefasst:

Föhr, Ende des 17. Jahrhunderts: Kerrin, die Tochter des angesehenen Kommandeurs Asmussen, erkennt früh, dass sie anders ist. Durch Handauflegen kann sie heilen. Nachts zieht es sie an die sturmumtoste Küste und sie sieht Dinge, die den anderen verborgen bleiben. Als man sie der Hexerei verdächtigt, wird ihr die Gabe jedoch zum Fluch. Kerrin flieht und heuert als Schiffsärztin an. Eine gefährliche Reise beginnt.

 

Frauen, die monatelang auf die Rückkehr ihrer Männer warten müssen; ein hartes Leben auf einer kargen Insel; ein alter Glaube, der sich nicht ganz ausrotten lässt - und mitten drin die junge Kerrin, die sich nicht nur in der Kräuterkunde auskennt, sondern auch eine frühe Form von Iris-Diagnose pflegt und heilende Hände besitzt, aber gerade deswegen die Ablehnung der Bevölkerung erlebt. Das Grundkonzept des Romans Die Friesenhexe von Karla Weigand ist absolut stimmig. Die Autorin hat sich unbestreitbar mit dem Thema auseinandergesetzt und es geschafft, ein atmosphärisch dichtes Bild vom Leben auf Föhr Ende des 17. Jahrhunderts zu zeichnen. Die Leser tauchen ein in eine Welt, wie sie höchstens noch in einem Freiluftmuseum erahnt werden kann. Diese starken Bilder leben von einer geschickt umgesetzten Erzählkunst und einer schönen Sprache.

Ganz eng verwandt mit der absoluten Stärke des Romans ist jedoch dessen größte Schwäche. Denn Karla Weigand schießt verschiedentlich weit übers Ziel hinaus. Schafft sie durch die Beschreibung der Lebensumstände Atmosphäre, stoppt sie andernorts den Lesefluss durch langatmige Exkurse in die friesische Geschichte. Nur notdürftig mit der eigentlichen Handlung verbunden, lässt sie Legenden und geschichtliche Details an den Lesern vorbei ziehen. Ihr Wunsch, möglichst viel Wissen zu vermitteln, gipfelt in üppigen Belehrungen. Zwar versucht die Autorin dies zu kaschieren, in dem sie ihre Protagonisten nach den Details fragen lässt, doch macht dies die Sache nicht besser. Ohne diese Ausrutscher in die Schulstube hätte der Roman kaum Schwächen gezeigt.

Angst vor dem Unerklärlichen

Sehr schön beschreibt Karla Weigand den inneren Konflikt der Menschen, zu ihren lange gepflegten Traditionen zu stehen und der Pflicht, das Christentum als Religion zu leben. Feinfühlig greift sie die gesellschaftlichen Zusammenhänge auf und beschreibt, wie Kerrin zwar einerseits als Heilkundige zu Rate gezogen wird, andererseits aber als Hexe verrufen wird. Das Mädchen vermag sich zwar der Verfolgung zu entziehen, indem sie als Chirurgin auf dem Schiff ihres Vaters mitfährt. Sie ist jedoch keine klassische Superheldin. Wohl sind ihre Gaben nicht alle erklärbar - vor dem Hintergrund ihrer Herkunft aber weitgehend akzeptabel. Hier hat die Autorin die perfekte Mischung zwischen erklärbaren Handlungen und Phänomen gefunden. Sie geht die Sache denn auch langsam an, baut die Abneigung gegen Kerrin überzeugend auf und präsentiert auf diese Weise eine feinfühlige Geschichte.
Mit ihren vielschichtigen und in ihren Handlungen durchaus überzeugenden Figuren bevölkert die Autorin den Roman optimal. Die Charaktere sind nicht nur in sich selber schlüssig und vereinen allerlei Facetten in sich, sie stehen auch in einem gekonnt gezeichneten Verhältnis zueinander und machen so die Inselgemeinschaft ebenso lebendig, wie die Besatzung eines Schiffes oder die Menschen, die an einem Königshof zusammenleben.

Die Welt des Adels

Karla Weigand beschränkt sich nicht darauf, die Geschichte der Insel Föhr zu erzählen. Sie macht auch einen Ausflug in den europäischen beziehungsweise russischen Hochadel. Wiederum mit dem nötigen Fingerspitzengefühl erklärt sie, weshalb eine Heirat zwischen der schwedischen Prinzessin und dem russischen Zaren die politische Landschaft verändern könnte. Gekonnt verbindet sie die beiden Handlungsstränge miteinander - nie kommt das Gefühl auf, es sei hier etwas gar an der Story herumgezupft worden, um die Begegnung und letztlich Verschmelzung der beiden Handlungsstränge herbei zu führen. So wird man nach den letzten Zeilen das Gefühl haben, nicht nur einen unterhaltsamen und schön geschriebenen Roman gelesen zu haben, sondern auch, eine Geschichte zu kennen, die sich genau so - oder wenigstens sehr ähnlich - zugetragen haben könnte.

Wenn sich die Autorin Karla Weigand vom Drang, in ihre Romane schulmeisternde Passagen einzubauen, verabschieden kann, wird sie dem Publikum noch einige bemerkenswerte und außergewöhnliche Geschichten präsentierten können. Dass sie etwas zu erzählen hat, hat sie mit Die Friesenhexe eindrücklich bewiesen.

Die Friesenhexe

Karla Weigand, Heyne

Die Friesenhexe

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