Der Junge, der Träume schenkte

  • Lübbe
  • Erschienen: Januar 2011
  • 5
  • Lübbe, 2008, Titel: 'La Gang dei Sogni', Originalausgabe
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Rita Dell'Agnese
911001

Histo-Couch Rezension vonApr 2012

Guten Abend New York!

Kurzgefasst:

New York, 1909. Aus einem transatlantischen Frachter steigt eine junge Frau mit ihrem Sohn Natale. Sie kommen aus dem tiefsten Süden Italiens - mit dem Traum von einem besseren Leben in Amerika. Doch in der von Armut, Elend und Kriminalität gezeichneten Lower East Side gelten die gnadenlosen Gesetze der Gangs. Nur wer über ausreichend Robustheit und Durchsetzungskraft verfügt, kann sich hier behaupten. So wie der junge Natale, dem überdies ein besonderes Charisma zu eigen ist, mit dem er die Menschen zu verzaubern vermag...

 

Wie verwirklicht man seinen Traum? Luca Di Fulvio weiß es. Der Autor macht es seinem kleinen Helden Natale alias Christmas dabei aber nicht eben leicht. Unter denkbar schlechten Bedingungen startet das blondlockige Kind mit den tiefschwarzen Augen Anfang des 20. Jahrhunderts auf einem Landgut in Italien ins Leben. Das Schicksal verschlägt ihn bald schon nach New York. Von seiner pragmatischen Mutter Cetta innig geliebt, wächst Christmas zu einem gewitzten Jungen heran, der sich mit dem harten Leben und der Kriminalität in den Straßen der Lower East Side arrangiert und dabei die Sehnsucht in den Menschen, die ihm begegnen, klingen lässt. Als Christmas in einem Straßengraben ein verletztes Mädchen findet, begegnet ihm sein Traum. Ruth beherrscht fortan seine Gedanken. Doch sie ist die Tochter aus einem reichen, jüdischen Haus, er hingegen der Sohn einer italienischen Einwanderin, die sich als Prostituierte durchs Leben schlägt. Für eine Romanze zwischen den beiden ist kein Platz. Trotzdem kann Christmas nicht von Ruth lassen. Da zieht Ruths Familie nach Kalifornien, der Kontakt bricht unvermittelt ab. Noch gibt sich Christmas aber nicht geschlagen. Er will zum Radio, damit Ruth durch seine Stimme an ihn erinnert wird. Gegen alle Widerstände schafft er es ans Mikrofon. Mit seinem "Guten Abend New York" bringt er den Menschen ihre Träume zurück.

Bewegend schön, bedrückend brutal

Mit seinem Roman schafft der italienische Autor Luca Di Fulvio den Spagat zwischen einer bewegenden Geschichte und bedrückender Brutalität. Er schont seine Leser nicht. In der Figur des abartigen Billy tun sich vor dem Auge des Lesers tiefe Abgründe des menschlichen Geistes auf. Billy lebt seine Perversität mit wachsendem Erfolg aus. So hält Di Fulvio dem Publikum einen Spiegel vors Gesicht. Denn die verschrobenen Phantasien der Gesellschaft sind es, die Billys Erfolg ausmachen. Leicht könnte der Roman also in ein düsteres Szenario abgleiten. Dass er dies nicht tut, ist der großen Erzählkunst Luca Di Fulvios zu verdanken. Virtuos verknüpft der Autor die von einem tiefsinnigen Humor geprägte Geschichte von Christmas, das von großer innerer Stärke zeugende Schicksal Ruths und die an Brutalität ständig zunehmende Komponente zu einem tiefsinnigen Roman.

Er verliert sich etwas

Di Fulvios Roman hat also alles, was es braucht, um zum Bestseller zu avancieren. Auf den 781 Seiten wird dem Publikum ganz großes Kopfkino geboten. Allerdings könnten es auch weniger Seiten sein, um der Geschichte ihre Aussagekraft und ihren Zauber zu lassen. Denn der Autor gefällt sich da und dort zu sehr als Erzähler und verliert sich immer wieder in Details. Hier gibt es einige Längen, die vom Publikum recht viel Geduld einfordern. Erschwerend kommt hinzu, dass die italienische Erzählweise, bei der Wiederholungen als Stilmittel durchaus gängig sind, hier bei der Übersetzung ins Deutsche zu ausgeprägt übernommen wurde. Dadurch verändern sich Rhythmus und Melodie und lassen die Geschichte an einigen Stellen plump und aufgebläht wirken. Hier würde sich eine Straffung bei der Überarbeitung für eine Neuauflage durchaus lohnen.

Stimmiges Gesamtwerk

Grundsätzlich stimmen bei diesem Roman aber Inhalt und Sprache. Es ist eines jener Bücher, die sich einprägen und die Leser noch lange begleiten, nachdem die letzte Zeile längst verschlungen worden ist. Unterstrichen wird der gute Gesamteindruck von einem ausgezeichnet gewählten Cover und einem angenehmen Schriftbild bei der Originalausgabe als Taschenbuch. Allerdings sollte sich der Verlag überlegen, ob er diesem Roman in einer Neuauflage nicht die Gunst eines Hardcovers gewähren sollte.

Der Junge, der Träume schenkte

Luca di Fulvio, Lübbe

Der Junge, der Träume schenkte

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