Wiener Herzblut

  • Gmeiner
  • Erschienen: Januar 2012
  • 1
  • Gmeiner, 2012, Titel: 'Wiener Herzblut', Originalausgabe
Wiener Herzblut
Wiener Herzblut
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Eva Schuster
731001

Histo-Couch Rezension vonMär 2012

Frauenmorde in der Wiener Moderne

Kurzgefasst:

Wien am Vorabend des 1. Weltkrieges. Der rätselhafte Tod einer jungen Studentin der Philosophie beschäftigt die Wiener Polizei. Sophia von Wiesinger, Jurastudentin und Tochter des leitenden Ermittlungsbeamten, versucht, das rätselhafte Ableben ihrer Freundin auf eigene Faust aufzuklären. Bei ihrer Suche nach Hinweisen im gemeinsamen Freundeskreis stößt sie auf geheimnisvolle Zusammenhänge. War es Selbstmord? Als eine weitere Leiche eines schönen jungen Mädchens gefunden wird, kommt ein schrecklicher Verdacht auf: Treibt hier ein Serienmörder sein Unwesen?

 

Wien im Jahr 1913, kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges: Die junge Sophia von Wiesinger, Tochter eines Kriminalermittlers, studiert Jura und gehört damit zu den wenigen weiblichen Studenten jener Zeit. Zu ihrem Entsetzen muss Sophia erfahren, dass eine ihrer Kommilitonen tot aufgefunden wurde, offenbar Selbstmord. Jelena Vadric war Studentin der Philosophie und zugleich Tochter des serbischen Vertreters im Nationalrat. Obwohl Sophia Jelena nicht gut kannte, kann sie nicht an einen Suizid des schönen und lebensfrohen Mädchens glauben.

Wenig später wird erneut die Leiche einer jungen Frau gefunden, diesmal ertrunken in einem Donauarm. Die Tote ist Mizzi Chalupsky, Tochter eines Tuchhändlers. Sophia, die gerade ein juristisches Praktikum bei der Polizei absolviert, nimmt intensiv an den Ermittlungen teil. Bei Mizzi Chalupsky ist noch fraglicher, was sie zu einem Selbstmord bewogen haben könnte.

Schließlich stellt sich heraus, dass es in diesem Jahr noch zwei weitere, ähnlich unerklärliche Selbstmorde gab. Sophia wird als Gouvernante in die Familie eines der beiden Opfer eingeschleust. Während sie dem Witwer Dr. Mayer hilft, sich um seinen Sohn und die jungen verwaisten Schwestern seiner Frau zu kümmern, erhofft sie sich Hinweise auf Gründe für ihren Selbstmord. Wie erwartet deutete auch bei Helene Mayer nichts auf eine Depression hin, im Gegenteil. Und bald ahnen Sophia und ihr Vater, dass sie einem Serienmörder auf der Spur sind ...

Eintauchen ins historische Wien

Ulrike Ladnars Debütroman Wiener Herzblut ist nicht nur ein historischer Krimi, sondern auch und vielleicht sogar vor allem ein Porträt der Wiener Moderne. Es ist die Zeit des frühen 20. Jahrhunderts, unmittelbar vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Die österreichische und vor allem die Wiener Gesellschaft steht unter multikulturellen Einflüssen, die Psychoanalyse unter Sigmund Freud wird populär, die Kunst steht im Zeichen von Jugendstil und Expressionismus. Das Wiener Lebensgefühl des frühen 20. Jahrhunderts mit Kaffeehäusern, Fiakern, Mélange, Topfenstrudel und Theater wird gut dargestellt. Sophia ist zwar eine ungewöhnlich emanzipierte Frau ihrer Zeit, aber man erhält doch einen guten Eindruck vom Leben der höhergestellten jungen Damen in der Wiener Moderne. Neben Sigmund Freud gehört vor allem Arthur Schnitzler zu den zentralen Figuren jener Zeit und taucht hier auch in einer kleinen, aber nicht unwichtigen Nebenrolle auf.

Überwiegend interessante Charaktere

Sehr reizvoll ist die Schilderung des recht außergewöhnlichen Vater-Tochter-Verhältnisses. Von Wiesinger erlaubt seiner Tochter weitaus mehr Freiheiten als andere Väter, lässt sie bei den Ermittlungen teilhaben und behandelt sie teilweise eher kollegial als väterlich. Auf der anderen Seite spürt man immer wieder das enge Band der beiden, zumal Sophia ihre Mutter bereits mit knapp sechs Jahren verlor. Eine weitere interessante Figur ist Dr. Sachtl, der junge Staatsanwalt und enger Vertrauter von Sophias Vater, der im Verlauf der Handlung erstaunt feststellt, dass Sophia sich zu einer jungen Frau entwickelt hat. Sophia wiederum fühlt sich immer stärker zu ihrem Kindheitsfreund und Nachbarn Ferdinand hingezogen. Ferdinand allerdings widmet sich intensiv der Dichtkunst, fühlt sich durch eine Beurteilung durch den ihm gut bekannten Arthur Schnitzler angespornt und scheint nur noch für das Schreiben zu leben - Sophia versucht, ihm zu vermitteln, wie sich ihre Gefühle entwickelt haben, vergeblich, wie es scheint. Das Zusammenspiel der Figuren sorgt auch immer wieder für amüsante Momente, sei es im Umgang zwischen Sophia und den vertrauten Dienstboten, Dr. Mayers unbeholfene Annäherungsversuche an Sophia oder Dr. Sachtls plötzlich erwachendes Interesse für sie. Gut gewählt ist der Erzählstil: Der größte Teil der Handlung wird aus der Sicht eines unbeteiligten Erzählers wiedergegeben, zwischendrin aber gibt es immer wieder kurze Abschnitte aus Sophias Sicht, der Übersichtlichkeit halber in Kursivschrift.

Kleine Mankos

Zu den kleinen Schwächen des Romans gehört die etwas blasse Darstellung von Sophia von Wiesinger. Der Protagonistin fehlen ein wenig die Ecken und Kanten; einerseits ist es zwar reizvoll, dass sie für ihre Zeit recht emanzipiert auftritt und so entschlossen ermittelt, andererseits ist das fast der einzige Zug, der sie auszumachen scheint. Sie wirkt ein bisschen zu glatt und perfekt, vor allem auch zu reif für ihr junges Alter. Allein was Liebesbeziehungen und Flirts im Allgemeinen angeht, ist sie noch komplett unerfahren und dementsprechend verunsichert, was sehr liebenswert wirkt. Erstaunlich leicht gelingt es ihr beispielsweise, im Haushalt von Dr. Mayer die Herzen der Kinder zu gewinnen und sogar ein Trauma zu lösen, wie es einem Psychologen in dieser Zeitspanne sicher nicht besser gelungen wäre. Die Krimihandlung erlaubt sich einige Pausen, die Ermittlungen schreiten nur langsam voran, neue Erkenntnisse tauchen sehr sporadisch auf. Alleine bis feststeht, dass es sich tatsächlich um mehr als rätselhafte Selbstmorde handelt, vergeht viel Zeit. Gegen Ende wird es dann umso dramatischer, zuvor allerdings wünscht man sich bisweilen ein paar erstaunliche Erkenntnisse oder Wendungen herbei. Im großen Finale laufen alle zuvor geknüpften Fäden zusammen, alle Fragen werden geklärt, das Motiv des Täters wirkt allerdings ein klein wenig konstruiert.

Insgesamt ist Wiener Herzblut ein durchaus gelungener und lesenswerter Debütroman, der eher melancholische Stimmung als extreme Spannung ausstrahlt. Ein Wiedersehen mit den Protagonisten hätte seinen Reiz.

Wiener Herzblut

Ulrike Ladnar, Gmeiner

Wiener Herzblut

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