Tango, der dein Herz verbrennt

  • Piper
  • Erschienen: Januar 2005
  • 1
  • Piper, 1994, Titel: 'Frontera Sur', Originalausgabe
Tango, der dein Herz verbrennt
Tango, der dein Herz verbrennt
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Rita Dell'Agnese
931001

Histo-Couch Rezension vonDez 2011

Die melancholische Poesie des Bandoneons

Kurzgefasst:

Als der fünfjährige Ramón Díaz 1880 an der Hand seines Vaters als einer von einer Million Einwanderern in Argentinien ankommt, bleibt ihm vor Rührung und Staunen der Mund offen stehen. Und die Ohren natürlich. Denn das, was er hört, ist der merkwürdig klagende und zärtlich umschmeichelnde, orgelähnliche Klang eines Bandoneons - ein Klang, der Ramón Zeit seines Lebens nicht loslassen wird: auch da nicht, als er längst zu einem der einflussreichsten Männer des Landes aufgestiegen ist. Der Aufstieg der Familie Díaz und der Siegeszug des Tangos aus den Bordellen einer explodieren Metropole hinein in die ganze Welt.

 

Sie ist melancholisch. Und wunderschön. Die Melodie, die dem Bandoneon entströmt, packt den jungen Ramón Díaz und wird ihn sein Leben lang begleiten. Das Kind eines Galiciers, das an der Hand seines Vaters seine neue Heimat Argentinien entdeckt, wird zur zentralen Figur des Romans Tango, der dein Herz verbrennt. Es ist die Geschichte der Einwanderer und ihrer Hoffnung, in Argentinien zu finden, was ihnen die Heimat verwehrte: Ein Leben ohne Not und Elend. Ramón Díaz wird beides finden in Buenos Aires. Er lernt, stark zu sein und er lernt, seine Leidenschaft zu leben. Davon erzählt der poetische und melodiöse Roman. Davon und von Freundschaft, Berechnung und einem unbändigen Willen, es zu etwas zu bringen.

Konspirative Erzähler

Der argentinische Autor Horacio Vázquez-Rial bedient sich verschiedener Elemente, um seine Erzählung zum Klingen zu bringen. Zum einen ist es die Aufteilung des Romans auf zwei Ebenen. Quasi als Brücke zwischen den jeweils näher beschriebenen Zeitspannen unterhalten sich zwei gesichtslose Figuren über die Ereignisse, die 1880 in Argentinien ihren Anfang nehmen. Die eine dieser Erzähl-Figuren, Vero, ist ein direkter Nachfahre des kleinen Ramón Díaz und verteidigt vehement das Recht, die Geschichte seiner Familie aus einer eigenen Warte heraus zu erzählen. Dadurch stellt der Autor gleich von Beginn weg klar, in welchem Zusammenhang die Erzählenden zu verstehen sind. Dieses Stilmittel bringt dem Autor aber noch andere Vorteile als nur gerade die Brückenfunktion: Er kann über die Erzählfiguren nähere Einzelheiten zu Ereignissen in jenen Jahren portieren. Sei es nun die Einwanderergeschichte von Buenos Aires selber oder Stationen einer technischen Entwicklung, die im ausgehenden 19. Jahrhundert ein strammes Tempo angeschlagen hat.

Eine Familiengeschichte

Die zweite Ebene, auf der sich Horacio Vázquez-Rial bewegt, ist die Geschichte der Familie Díaz selber. Während die Erzählfiguren beinahe einen konspirativen Tonfall pflegen, geht der Autor mit seinen Hauptfiguren sehr offen und direkt um, ja, gar liebevoll. Er stellt sie keineswegs als unfehlbare Helden dar, verleiht ihnen aber so fein ziselierte Charaktere, dass man sie trotz ihrer kleineren oder größeren Schwächen einfach ins Herz schließen muss. Nicht ein einziges Mal bekommt man den Eindruck, der Verlauf des Romans sei - einen Tribut an den Mainstream zollend - lieblich verzerrt oder zu stark durch eine rosarote Brille betrachtet. Immer hat auch die dunkle Seite der jeweiligen Zeitspanne Platz. Dabei bedient sich Horacio Vázquez-Rial einer ausgesprochenen Zurückhaltung, was Wertungen aller Art betrifft.

Dichte Atmosphäre

Der Autor pflegt eine solchermaßen bildhafte Sprache, dass sich während des Lesens die Melancholie des Bandoneons wie ein leiser Ton über das Geschehen legt. Oft mit wenigen Worten stellt Horacio Vázquez-Rial sie mitten ins Geschehen hinein und lässt ihnen keine Zeit, sich rechtzeitig gegen die vielen Sinneseindrücke zu wappnen. Dieses pulsierende Leben, das über die Sprache und vor allem über die eigene Phantasie, die hier gekonnt ins Erleben einbezogen ist, lässt kein Ausweichen zu. Während viele Romane aus Lateinamerika auf die hiesigen Leserinnen und Leser schwer und erdrückend wirken, bleibt Tango, der dein Herz verbrennt bei aller Schwere des erzählten Stoffes ein eleganter, oft fast schwebender Tanz. Ein Tango der Seele sozusagen. Da mag man es auch verzeihen, dass der Tango - anders als durch den Titel suggeriert - keine tragende Rolle spielt. Sehr wohl jedoch das, was die Gesellschaft im damaligen Buenos Aires ausmachte und was sich im Tango wiederfindet: Die tiefe Sehnsucht nach der einst verlassenen Heimat sowie der unbändige Stolz der verschiedenen Völker, die in Argentinien zu einer Einheit zusammen wachsen.

Nichts für zwischendurch

Tango, der dein Herz verbrennt ist kein Buch, das man sich nach Feierabend bei einem gemütlichen Lesestündchen auf dem Sofa gönnt oder das man als Unterhaltung zwischendurch genießt. Es ist ein höchst anspruchsvolles Buch, das seine wahre Schönheit nur demjenigen entfaltet, der bereit ist, sich auf die gewaltige Sprachmelodie einzulassen und sich von der melancholischen Poesie des Bandoneons davontragen zulassen.

Tango, der dein Herz verbrennt

Horacio Vázquez-Rial, Piper

Tango, der dein Herz verbrennt

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