Das Spiel der Nachtigall

  • Droemer-Knaur
  • Erschienen: Januar 2011
  • 7
  • Droemer-Knaur, 2011, Titel: 'Das Spiel der Nachtigall', Originalausgabe
Das Spiel der Nachtigall
Das Spiel der Nachtigall
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Carsten Jaehner
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Histo-Couch Rezension vonOkt 2011

Von einem, der auszog, die Welt zu besingen

Kurzgefasst:

Ende des 12. Jahrhunderts beginnt ein Mann, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zu prägen: Walther von der Vogelweide raubt dem Minnesang die Keuschheit, spottet über Fürsten und klagt selbst Kaiser und Papst mit spitzer Zunge an, obwohl in dieser gefährlichen Zeit jeder ketzerische Gedanke den Tod bedeuten kann. Immer wieder kreuzt dabei eine ungewöhnliche Frau seine Wege: Die Ärztin Judith ist manchmal seine Gegnerin, manchmal seine Verbündete - und wie er immer entschlossen, die Welt zu verändern.

 

Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zum Ende des 12. Jahrhunderts. Ein junger Sänger macht sich auf den Weg, um in Klosterneuburg bei Wien beim besten Sänger seiner Zeit in die Lehre zu gehen. Doch auf dem Weg zu Reinmar macht er in einem Gasthof Halt, in dem der englische König Richard verhaftet wird, der gerade vom Kreuzzug aus dem Heiligen Land wiederkehrt. Der junge Sänger kann seinen frechen Mund nicht halten und wird so direkt mit zwei der mächtigsten Personen der Zeit bekannt: König Richard von England und Herzog Leopold. Der Name des Sängers ist Walther, Walther von der Vogelweide.

Als in Wien Herzog Heinrich stirbt, ist unter den Ärzten auch der gerade eingetroffene jüdische Arzt Salomon mit seiner Tochter Judith zugegen. Er wird zum Herzog vorgelassen, kann aber den Tod nicht mehr verhindern und gerät als Jude direkt in Verdacht, Schuld am Tod des Herzogs zu sein. Zufällig sind auch Walther und Reinmar anwesend, und Walther kann durch seine Frechheit das schlimmste verhindern. Währenddessen ist Judith bei der Herzogin und hilft ihr bei einem Leiden. Judith und ihr Vater waren auf dem Weg nach Salerno in Italien, wo Judith zur Ärztin, zur Magistra, ausgebildet werden soll. Hier in Wien treffen sich Walther und Judith das erste Mal, und sie mögen sich nicht, müssen nach ihrer Trennung aber immerzu aneinander denken.

Getrennt voneinander ziehen beide von Hof zu Hof und treffen sich gelegentlich zufällig wieder. Währenddessen ist das Reich in Aufruhr, denn es muss ein neuer deutscher Kaiser gewählt werden, da das Recht nicht auf die Kaiserwürde nicht vererbbar ist. Die politischen Ränkespiele sind in vollem Gange, und Walther singt zum ersten Mal politische Lieder mit Spott und Hohn, was zuvor nie jemand gewagt hat. Schnell wird er im ganzen Reich bekannt, und auch Judith macht bald als Magistra von Königinnen von sich reden. Doch werden es die beiden schaffen, sich als Paar zu finden?

Komplizierte Politik

Tanja Kinkel legt mit Das Spiel der Nachtigall einen Roman vor, der es dem Leser nicht immer einfach macht. Es geht um Politik, viel Politik und seine Verschachtelungen, und mittendrin befindet sich der Sänger Walther von der Vogelweide, über den nicht viel historisches überliefert ist. Daher gönnt sich die Autorin die eine oder andere Freiheit, was für einen Roman natürlich legitim ist.

So bestimmen die politischen Verhältnisse auch stets das Verhalten Walthers und seiner Geliebten Judith, nachdem sie sich endlich gefunden haben, obwohl sie es eigentlich gar nicht dürften, was natürlich eine gewisse Brisanz mit sich bringt. Sie ist eine jüdische Ärztin, eine Magistra, die allerdings ihre jüdische Herkunft verschweigt und sich Jutta nennt und somit Königinnen und Könige behandeln darf. Walther ist Christ und Sänger, der schon immer mehr wollte als nur Minnelieder singen. So ist er der erste, der auch politische Lieder singt und Fürsten und hohe Geistliche kritisiert. Seine "Spottlieder", wie man sie bald nennt, machen ihn schnell im ganzen Heiligen Römischen Reich deutscher Nation und sogar bis nach Roma berühmt. Natürlich macht er sich damit nicht nur Freunde und Gönner, sondern auch Feinde.

Facettenreiche Protagonisten

Als sich ein Zweikampf um den neuen Kaiser herauskristallisiert, hat Walther zwar einen Favoriten, wie man aber schnell merkt, haben beide Kandidaten ihre Vorteile und Nachteile. Auch die Darstellung Walthers ist nicht immer rosig. Er ist kein strahlender Held, sondern er hat auch seine unangenehmen Seiten und seine Geheimnisse, und immer wieder gerät er mit Judith in Streit, denn auch sie ist nicht nur die glanzvolle Ärztin. Jeder Mensch hat seine vielen Facetten, allerdings besteht die Gefahr, dass man als Leser eine zu neutrale für Walther einnimmt und nicht immer auf seiner Seite stehen will. Dieses Risiko, was auch für weitere Charaktere gilt, geht die Autorin ein und macht es dem Leser damit nicht leicht, sich auf die Seite Walthers zu stellen.

Die politischen Verhältnisse sind verzwickt, und an einigen Stellen dauert es doch recht lange, bis die Autorin dem Leser das ganze aufgeschlüsselt hat. Hier ist der größte Schwachpunkt des Buches zu finden: Es ist vielleicht für das Verständnis des Romans notwendig, aber doch sehr ausführlich, und man ertappt sich beim Lesen das eine oder andere Mal, dass man mit den Gedanken abschweift, weil es einfach zu kompliziert ist und die Autorin ihr reichlich vorhandenes Wissen zu breit auswalzt. Zudem verschachtelt sie ihre Informationen gerne in lange Sätze, was es dem Leser auch nicht immer leicht macht, den Überblick zu behalten. Zwar gibt es zu Beginn des Romans ein Personenverzeichnis, geordnet nach Städten, aber wirklich hilfreich ist es auch nicht, da viel umhergereist wird und nicht jeder immer da ist, wo er sein sollte.

Kein schwarz-weiß

Und mittendrin ist Walther, der sich gemeinsam mit Judith dazu aufschwingt, im Hintergrund den einen oder anderen Faden zu ziehen. Man kann sich nicht immer sicher sein, wer auf wessen Seite steht, so wie manche Herzöge auch gerne ihr Fähnchen nach dem Wind drehen. Bischof Wolfger und sein Sohn Hugo, die beispielsweise zu Beginn des Romans beim Tod Heinrichs bereits anwesend waren, werden mit der Zeit zu engeren Vertrauten Walthers. Ob das natürlich gut ist, wird sich zeigen. Auch Judith hat Freunde, die nicht unbedingt immer auf ihrer Seite sind, wobei sich diese mehr in ihrer Familie in Köln befinden. Ihr Onkel Stefan ist allein schon deswegen verdächtig, weil er als Jude zum Christentum konvertiert ist. Nichts ist einfach in diesem Roman, auch die Liebe nicht, schon gar nicht die zwischen Walther und Judith.

Da Walther viel reist, lernt man auch immer wieder verschiedene Menschen kennen, aber eigentlich nie lang genug, um mit ihnen wirklich warm zu werden. Man reist ab, kommt woanders an, reist wieder ab, und zwischendurch trifft man immer mal wieder alte Bekannte von früher, auch gerne in neuen Aufgaben und Würden. Diese Unstetigkeit sorgt im Roman für eine gewisse Unruhe, allerdings kann man diese auch als den Leitfaden des Romans betrachten. Alles ist immer in Bewegung, das Ziehen von Fäden durch die großen Entfernungen schwierig, und alles ist nicht so einfach, wie es vielleicht sein könnte.

Anspruchsvolle Lektüre

Trotz allem bietet Tanja Kinkel dem Leser einen guten Einblick in die Zeit. Auch wenn die politischen Verhältnisse schwierig sind, war es dennoch einfach so, und historische Fakten kann man nicht ändern. Der Roman ist gut und wohl recherchiert und immer wieder durchzogen von Liedtexten Walthers, die überliefert sind und die Botschaften und Kritiken für die Fürsten sind. Für heutige Verhältnisse schwer vorstellbar, galten Sänger auch als reisende Zeitungen, die Zugang zu höchsten Quellen hatten. Ob es allerdings soweit ging, dass diese Sänger schon fast die Fäden im Hintergrund zogen, dürfte zumindest fraglich sein.

Tanja Kinkel gelingt mit ihrem Roman ein wunderbarer Einblick in das Ende des 12. Jahrhunderts und den Beginn des 13. Jahrhunderts. Nichts war einfach, alles dauerte seine Zeit, und Intrigen lauerten überall. Der Roman ist nicht einfach zu lesen und recht anspruchsvoll und allein durch seinen Umfang von knapp 920 Seiten nichts für den kleinen Schmöker zwischendurch. Gelegentlich etwas sperrig, bleibt doch ein Leseereignis, das der "Nachtigall" Walther von der Vogelweide ein kleines Denkmal setzt. Leider sind von ihm keine Noten erhalten, sondern nur Texte, aber hier lohnt sich bestimmt einmal, sich näher damit zu beschäftigen. Ein Nachwort, Literaturangaben und Karten im Buchdeckel ergänzen den Roman, der für Mittelalterfans sicherlich eine Bereicherung sein wird.

Das Spiel der Nachtigall

Tanja Kinkel, Droemer-Knaur

Das Spiel der Nachtigall

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