Persilschein

  • Grafit
  • Erschienen: Januar 2011
  • 1
  • Grafit, 2011, Titel: 'Persilschein', Originalausgabe
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Annette Gloser
901001

Histo-Couch Rezension vonOkt 2011

Die Schatten der Vergangenheit

Kurzgefasst:

Deutschland 1950: In einem Hinterhof wird ein Mann mit durchschnittener Kehle aufgefunden. Peter Goldstein, der die Ermittlungen in dem Mordfall übernimmt, trifft schnell auf ein Problem: Der Tote hat zwei Identitäten. Als Uwe Schmidt bewohnte er eine Mansardenzimmer, das offensichtlich durchsucht wurde. Trotzdem findet sich etwas Interessantes der Hinweis auf ein Schließfach. Die Wohnung, die der Tote als Knut Lahmer angemietet hatte, ist unangetastet geblieben. Dort entdeckt Goldstein ein Soldbuch, das verrät, dass Lahmer Angehöriger der Geheimen Feldpolizei war, und eine Pistole. Durch Zufall kann der Mörder trotz dieser Merkwürdigkeiten überraschend schnell ausfindig gemacht werden allerdings ist er tot. Schnell wird der Fall als Selbstmord abgetan, doch Goldstein findet einen Hinweis, dass der Mann sich die Waffe nicht selbst an den Schädel gesetzt hat. Heimlich stellt er weiter Nachforschungen an und stößt auf einen bekannten Namen: Was hat Wieland Trasse, Nazimitläufer und Kriegsgewinnler, der sich erst vor Kurzem mithilfe eines Persilscheins reingewaschen hat, mit der Geschichte zu tun?

 

Ruhrpott, 1950. Fünf Jahre nach dem Ende des großen Mordens arbeiten noch immer die Entnazifizierungskommissionen und so mancher Mitbürger hat Schwierigkeiten, den sogenannten Persilschein zu bekommen - die offizielle Bestätigung, dass der Besitzer dieses Papierstücks die Nazizeit mit weißer Weste oder zumindest nur gering belastet überstanden hat.

Auch Hauptkommissar Goldstein ist es trotz SS-Mitgliedschaft und diverser Verstrickungen gelungen, dieses Objekt der Begierde zu ergattern. Längst heißt er nicht mehr Golsten. Er hat seinen alten Namen wieder angenommen, denn: "Goldstein klingt so schön jüdisch. Fast wie ein Verfolgter des Regimes", spöttelt der Schwiegervater, der alte Sozialdemokrat. Und nach wie vor bekleidet der geschmeidige Herr Goldstein sein Amt bei der Kripo, fängt böse Buben, schützt Recht und Ordnung.

Als jedoch auf einem Trümmergrundstück in Bochum ein Mordopfer ohne Papiere gefunden wird, gerät Goldstein in ein Spiel, das die ad acta gelegte Vergangenheit wieder aufleben lässt und dessen Regeln für den Kommissar nur schwer zu durchschauen sind.

Keiner wäscht reiner

Jan Zweyer lässt in seinem Roman die Nachkriegszeit wieder erstehen. So richtig hat das Wirtschaftswunder noch nicht begonnen, noch immer liegen ganze Straßenzüge in Trümmern, leben Flüchtlinge aus Ostpreußen in jämmerlichen Baracken. Noch immer sind viele Männer in Gefangenschaft und die Frauen müssen zusehen, wie sie allein zurecht kommen. Aber es gibt Arbeit, es gibt Essen, Frauen können sich Gedanken über Mode machen, die Straßenbahnen fahren wieder regelmäßig, der Strom fällt nicht mehr dauernd aus.

In diesem Szenario begegnen dem Leser die unterschiedlichsten Menschen, jeder mit seiner eigenen Geschichte, mit Wünschen und Hoffnungen. Und nicht jeder von ihnen hat tatsächlich die amtlich bescheinigte weiße Weste. Einige Protagonisten lösen beim Leser viel Sympathie aus, gerne würde man wissen, ob sich ihre Wünsche tatsächlich erfüllen. Aber es gibt eben auch die anderen, rein gewaschen durch den Persilschein. Wie sich so mancher schwer belastete Nazilakai und Kriegsgewinnler diesen Schein erkaufen konnte, obwohl die Kommissionen in den meisten Fällen ernsthaft um Wahrheitsfindung bemüht waren, wird in diesem Buch glaubhaft geschildert. Und auch, welche Wege beschritten wurden, um ein neues Leben anzufangen, ausgestattet mit dem in der Kriegszeit ergaunerten Geld, unbelastet von schwerwiegenden Vorwürfen und völlig frei von dem, was man gemeinhin so unter "Gewissen" versteht.

Der Roman führt den Lesern jene beklemmende Zeit vor Augen, in der man nicht wusste, wem man da eigentlich die Hand gab und in der dieser nette Nachbar zwei Stockwerke höher durchaus ein Massenmörder sein konnte.

Spannung garantiert

Zweyer hat tatsächlich einen richtigen, klassischen Roman geschrieben, mit mehreren Handlungsebenen und Erzählsträngen. Ein eher seltenes Ereignis unter den Histo-Krimis. Aber dieses Prädikat gilt für die gesamte Ruhrpott-Reihe.

Sprachlich kommt auch dieser Teil der Reihe eher unaufgeregt daher. Zweyer leistet sich auch keine Ausrutscher mit Modernismen. Er erzählt seine Geschichte in aller Ruhe. Dabei gelingt es ihm, den Leser sehr schnell in die Zeit hinein zu ziehen, ihn mit den Protagonisten vertraut zu machen. Er braucht nicht viele Worte um einen Charakter zu schildern - man weiß trotzdem sehr schnell Bescheid, mit wes Geistes Kind man es zu tun hat. Dabei überzeugt, dass auch die Bösewichte eben nicht nur böse sind, sondern ihre ganz privaten Wünsche haben, sich schlitzohrig gegenseitig übers Ohr hauen oder auch sich einfach nur mal in eine hübsche Frau vergucken.

Goldstein als Detektiv ist keineswegs ein überzeugender Sympathieträger, dazu hat er selbst zu viel Dreck am Stecken und zu viele Mitläuferqualitäten, die ihm im Laufe dieses Buches auf die Füße fallen. Es scheint, dass Zweyer hier aus dem großen Fundus der Realität geschöpft hat.

Der Kriminalfall selbst wirkt zunächst eher banal und Zweyer webt kunstvoll nach und nach all die Verwicklungen und Verstrickungen ein, die letztendlich für Spannung sorgen und dafür, dass die Lösung eben nicht einfach nur im Namen eines Mörders besteht sondern ein komplexes System aus Namen, Beziehungen und Ereignissen der Vergangenheit ist.

Dank der verschiedenen Erzählstränge ist der Leser wesentlich besser informiert als Hauptkommissar Goldstein, findet also auch schneller zur Lösung als der Detektiv. Das ist auch gut so, denn die letzten Kapitel halten sowohl für den Leser als auch für Goldstein die eine oder andere (böse) Überraschung bereit.

Ein "must have" im Histo-Krimi-Regal

Persilschein ist der Abschluß der Ruhrpott-Reihe um den Kommissar Goldstein. Der Leser kann auch dann gut einsteigen, wenn er die vorhergehenden Bände nicht kennt. Trotzdem kann man an dieser Stelle nur empfehlen, alle drei Bände anzuschaffen und möglichst in chronologischer Reihenfolge zu lesen. Auch wer die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts nicht auf der Liste seiner "Lieblingszeiten" hat, sollte diese drei Bücher auf seinen Merkzettel setzen.

Die Reihe ist bisher tatsächlich einzigartig. Sie überzeugt nicht nur mit genauer Recherche und vielen Hintergrundinformationen, sondern auch durch ihre Nähe zum realen Leben , durch die Verknüpfung alltäglicher Geschehnisse mit den großen Ereignissen der Geschichte. Speziell der letzte Band der Reihe bietet dem Autor die Gelegenheit zur Abrechnung mit seinem Kommissar und dem Leser einen tiefen Blick in die Abgründe deutscher Geschichte. Dabei fordert Zweyer dem Leser durchaus einiges an Geschichtskenntnissen ab. Zwar gibt es ein paar kurze Nachbemerkungen, in denen er auf historische Tatsachen verweist, das Grundwissen über diese Zeit erwartet Zweyer jedoch von seinen Lesern.

Sachlich und mit eher leisen Tönen erzählte Spannung auf hohem Niveau.

Persilschein

Jan Zweyer, Grafit

Persilschein

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