Zechensterben

  • Emons
  • Erschienen: Januar 2011
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  • Emons, 2011, Titel: 'Zechensterben', Originalausgabe
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Carsten Jaehner
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Histo-Couch Rezension vonOkt 2011

Ein eindrücklicher Nachkriegskrimi

Kurzgefasst:

Sommer 1966: Kohlenhalden im Ruhrgebiet, Zechen werden dichtgemacht, Bergleute gehen auf die Straße. Und unter einer Brücke im Oberhausener Stadtteil Sterkrade liegt ein toter Junge. Die Mutter des Kindes glaubt an eine Strafe Gottes, Oberinspektor Manni Wagner hat daran seine Zweifel und stößt auf eine Geschichte, die bereits 1947 begann. Er stellt sich in der Eifel schrecklichen Erinnerungen und verpasst das Finale der Weltmeisterschaft. Denn während in Wembley ein Tor fällt, das keines ist, sitzt er einem Mörder gegenüber.

 

Oberinspektor Manni Wagner verrichtet seinen Dienst in Sterkrade im Ruhrgebiet. Im Sommer 1966, kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft in England, ist ein Junge von einer Brücke auf Eisenbahngleise gestürzt und ums Leben gekommen. Die Untersuchungen haben keinen Fremdeinfluss ergeben, und doch ist Wagner nicht zufrieden. Die Ermittlungen werden eingestellt. Doch Wagner hat jetzt drei Wochen Urlaub, und der Fall lässt ihm keine Ruhe.

Bei der Beerdigung des Jungen hat er dessen besten Freund kennen gelernt. Es ist sein Neffe Michael, zu dem er bislang keinen Kontakt hatte. Seit sein älterer Bruder von zwanzig Jahren aus der Kriegsgefangenschaft wiedergekehrt war, herrschte zwischen Wagner und der Familie seines Bruders Funkstille. Bei dieser Gelegenheit kommt sich die Familie wieder näher, und Wagner kann auch wegen dem toten Jungen noch einmal nachfragen.

Da der Vermieter der Familie des Jungen, der alte Krumpen, auch gerade verstorben ist, kann man ihn leider nicht mehr befragen, dennoch wird Wagner das Gefühl nicht los, dass er etwas mit dem Tod des Jungen zu tun haben könnte. Doch ist Krumpen, dessen Gesundheit schon seit Jahren angeschlagen war, tatsächlich eines natürlichen Todes gestorben? Wagner forscht nach, und währenddessen stürmt die deutsche Mannschaft in England ins Finale...

Das Ruhrgebiet im Wirtschaftswunder

Peter Kersken siedelt seinen dritten Ruhrgebietskrimi wiederum in Sterkrade an, allerdings zeitlich so, dass die Krimis nicht die Personen, sondern nur den Ort gemeinsam haben. Nachdem der zweite Krimi Im Schatten der Zeche im Jahr 1912 spielte, hat das Ruhrgebiet nun, 1966, zwei Weltkriege hinter sich. Der große Boom der Zechenwirtschaft ist vorbei, immer mehr Zechenwerden dicht gemacht, während das Wirtschaftswunder um sich greift. Zudem schickt sich die deutsche Fußball-Nationalmannschaft mit Uwe Seeler und dem jungen und unbekannten Franz Beckenbauer an, in England nach der Trophäe zu greifen und versetzt damit die Nation in ungeahnte Freudentaumel, da sich immer mehr Menschen einen Fernseher leisten können.

Kerskens Krimi besticht nicht durch seine Spannung des Kriminalfalls, von dem man eigentlich gar nicht weiß, ob es überhaupt einer ist. Zechensterben lebt von der Schilderung des Ruhrgebiets und den Erzählungen seiner Vergangenheit. Wie die Familien durch den Krieg auseinandergerissen wurden und nur allmählich, wenn überhaupt zusammenfanden, das wird eindrucksvoll und nachhaltig geschildert. Frauen waren sich ungewiss, ob die Männer überhaupt zurückkamen, und wenn sie nach vielen Jahren Gefangenschaft schließlich wieder zurückkehrten, waren sie andere, gezeichnete Männer, und auch die Frauen haben sich ohne ihre Männer verändert. Kersken versteht es, einfühlsam und verständlich Verständnis für die Familien und die damalige Zeit und somit für deren Probleme darzulegen, und allein dafür gebührt ihm Lob und Anerkennung.

Behutsames Vortasten

Ohne zu viel über den Krimi verraten zu wollen, spielt diese Situation eine große Rolle in dem Buch, was dadurch noch Brisanz erhält, als dass Oberinspektor Wagner selbst irgendwie durch Freunde und Verwandte in dieser Situation ist und nur langsam wieder seine Familie wiederfindet. Das macht ihn in seinen Nachforschungen vorsichtig und einfühlsam und nimmt auch ein übertriebenes Tempo aus der Geschichte. Eckdaten sind immer wieder die Spiele der deutschen Mannschaft, von denen er sich sogar einige mit seiner "neuen" alten Familie anschaut und so wieder eine Art Normalität zurückkehrt. Dass er selber keine eigene Familie hat, sondern nur der Hure Ilona vielleicht mehr als nur "beruflich" zugetan ist, passt wohl in das Bild der Zeit.

Zeit ist überhaupt das große Thema des Romans. Der Autor nimmt sie sich und geht behutsam vor. Bisweilen mag man sich fragen, was das mit dem Todesfall des Jungen zu tun hat, aber immer spielt das irgendwie mit und langsam beginnen sich die Puzzleteile zusammenzusetzen. In diesem Krimi fließt kein Blut, es wird keine Gewalt angewendet, und doch sitzt der Leser gebannt mit seiner Lektüre da und lässt sich in die 60er Jahre entführen. Warum Wagner schließlich das Endspiel doch verpasst, sei hier nicht verraten.

Viel Lokalkolorit

Durch die einfühlsame Erzählweise lernt der Leser die Personen gut kennen. Manni Wagner hadert mit seiner Entscheidung, den Kontakt zur Familie vor zwanzig Jahren abgebrochen zu haben, sein Neffe Michael freut sich über einen neuen Onkel. Sein Bruder und seine Schwägerin tasten sich ebenso langsam an das neue Familienmitglied heran wie er an sie. Willy Hüwel, Vater des zu Tode gekommenen Jungen, und seine Frau versuchen, ihre Situation so gut wie möglich zu verkraften. Und Hausbesitzer Krumpen ist zwar tot, scheint aber in dem Gesamtgefüge eine wichtige Rolle zu spielen und somit ebenso präsent. Eine interessante Konstellation, aus der sich allmählich eine neue Situation herausschält.

Das Ende, das ebenso ruhig wie der gesamte Roman verläuft, mag manchen Leser nicht unbedingt befriedigen, passt aber auf jeden Fall zum Rest des Romans. So unspektakulär letztlich der Kriminalfall ist, desto eindrücklicher ist der "historische" Teil des Romans, der jedem Leser verdeutlicht, wie mühsam es war, nach dem Krieg wieder die Kurve in ein normales Leben zu bekommen, und das betraf sowohl die Soldaten als auch die daheimgebliebenen Familien. Ein lesenswerter Roman, der zudem durch viel Lokalkolorit besticht. Gerne wartet man auf weitere Romane des Autors.

Zechensterben

Peter Kersken, Emons

Zechensterben

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