Der Turm der Könige

  • Scherz
  • Erschienen: Januar 2011
  • 7
  • Scherz, 2010, Titel: 'El elefante de marfil', Originalausgabe
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Carsten Jaehner
621001

Histo-Couch Rezension vonOkt 2011

Mässig spannende Schachpartie mit Löchern

Kurzgefasst:

Sevilla 1248: Axataf, der maurische Herrscher der Stadt, ergibt sich König Fernando III. von Kastilien. Der Stolz der Muslime aber, die Giralda das wunderschöne Minarett der Moschee von Sevilla soll nicht in Christenhände fallen. Doch der christliche König gewinnt Axataf für einen Pakt: Ein Schachturnier soll über das Schicksal des gewaltigen Turms entscheiden. Fünfhundert Jahre später steht noch immer kein Sieger fest. Doch es gibt einen geheimnisvollen Auserwählten, der die letzte Partie für die Christen spielen soll. Und es gibt jene, die dies verhindern wollen...

 

Als im Jahr 1755 die Erde bebte und Lissabon nahezu komplett zerstörte, reichten die Beben auch bis nach Sevilla. Dort beschließt Julia de Haro, junge Witwe eines Buchdruckers, ihr Leben zu ändern. Sie heiratet den Druckergesellen Léon de Montenegro, genannt "der Pirat", weil er wohl eine geheimnisvolle und verschwiegene Vergangenheit hat. Die Hochzeit erweckt die Eifersucht von Cristóbal Zapata, dem Druckermeister, der eigentlich die Witwe heiraten wollte, nun aber ins Hintertreffen gerät und einen Hass auf Léon entwickelt.

Léon ist zudem Mitglied eines geheimen Ordens, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, ein über fünfhundert Jahre altes Geheimnis zu lösen. Vor fünfhundert Jahren haben Christen und Muslime ein Schachpartie um den höchsten Turm der Kathedrale von Sevilla begonnen. Wer drei Spiele gewann, sollte über das Schicksal des Turms bestimmen dürfen. Diese Schachpartie wurde nie zu Ende gespielt, oder doch? Weisen gefälschte Dokumente auf einen Sieg der Muslime hin?

Als beim Erdbeben der Schlußstein aus der Kirche herunterfällt, schlägt er direkt neben der Witwe Julia ein, und da sie überlebt hat, nimmt sie ihn mit nach Hause. Als Léon diesen Stein sieht, fühlt er sich der Lösung des Geheimnisses und einer klärenden Schachpartie näher. Doch ist er nicht der einzige, der an dem Ausgang der Partie interessiert ist, und es wird noch viel Zeit ins Land gehen, ehe die Lage geklärt ist.

Zu viel Leerlauf

Nerea Riesco führt ihre Leser in ein Spanien, das dem mitteleuropäischen Leser nicht sehr bekannt sein dürfte. Sie verwebt in ihrem Roman zwei Zeitebenen miteinander, eine tatsächliche Handlungsebene und eine, die fünfhundert Jahre zuvor spielte, in der der Grundstein für die Geheimnisse gelegt wurde, die der Geheimbund zu lösen versucht. Dabei dauert ihre Erzählung ebenfalls über fünfzig Jahre und umspannt dabei drei Familiengenerationen, die mit dem Schachspiel beschäftigt sind.

Oder auch nicht. Denn genau da liegt auch die Crux des Romans. Die Autorin schafft es nicht, den Leser an ihre Erzählung zu fesseln, was hauptsächlich den enormen zeitlichen Dimensionen geschuldet ist. Da wird ein Kind geboren, es wächst auf und wird erwachsen, es ist sechzehn Jahre alt, und in all der Zeit kommt man mit dem Schlußstein und seinem Geheimnis nicht weiter, zumindest wird dieser Erzählstrang mit keinem Wort erwähnt. Es folgt ein Teil Familiengeschichte, ein kleiner Hinweis auf die Schachpartie, dem man erfolglos nachgeht, und wieder springt die Erzählung in die Familiengeschichte. So und so weiter laufen die Handlungsstränge nebeneinander her und machen es dem Leser nicht leicht, bei der Stange zu bleiben.

Dabei kann die Autorin durchaus erzählen. Ihr Stil ist flüssig und gut zu lesen, nur leider schafft sie es nicht, auch durch die Zeitsprünge, eine durchgehende, packende Atmosphäre zu schaffen. Je länger der Roman dauert, desto mehr Zeit geht auch in der Handlung ins Land, bei der man sich denkt, was die Menschen wohl die ganze Zeit gemacht haben. Hätte der Roman nur fünf Jahre umspannt, wäre er packender und in sich logischer geworden, wenngleich dann die Familie keine drei Generationen gehabt hätte. So bleibt die Lösung fade und unbefriedigend.

Wenig Atmosphäre

Da es in dem Roman nie um die Zeit geht, in der er handelt, also der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis zu Napoleon, sondern es sich immer um das Schachspiel aus dem 13. Jahrhundert dreht, und da zudem nie auch nur einzige Jahreszahl erwähnt wird, wähnt man sich als Leser denn auch im Mittelalter und nicht in der Aufklärung. Diese mangelnde Atmosphäre und wenige Liebe zum Detail, was eine historische Einordnung beim Lesen ausmacht, führt dann bei Erwähnungen wie Revolution und Königsmord in Frankreich oder Napoleon doch zu eigenartigen gedanklichen Drehern.

Auch schafft es die Autorin dadurch nicht, aufgebaute Spannung zu halten. Es werden Konfliktpotenziale aufgebaut, aber durch die Zeitsprünge vergessen oder nicht genutzt oder sie verlaufen im Sande. Wenig Stimmung kommt auch durch die Charakterisierungen der Personen auf, die blass bleiben, da man ihre Entwicklung nur in kurzen Punkten erlebt und zu keinem als Leser eine richtige Beziehung aufbauen kann. Auch Vorausschauen wie "später sollte sich herausstellen..." oder "damals wusste sie noch nicht" nehmen der Handlung eher die Spannung, als dass die aufgebaut wird, da es so häufig vorkommt und zu durchsichtig ist. Da wäre etwas mehr Einfallsreichtum gefragt gewesen.

Einzig der Franzose Verdoux, Freund der Familie und auch wie Léon Mitglied im Orden, hat einige Ecken und Kanten, auch wenn diese erst spät heraustreten. Er begleitet Léon und später dessen Sohn Abel und wiederum dessen Tochter Guiomar durchs Leben und durch deren Lieben und steht ihnen mit Rat und Tat zur Seite. Auch bei den Todesfällen in der Druckerfamilie und auch bei den Zapatas, den erklärten Feinden im eigenen Haus, die ebenfalls blass und eigentlich uninteressant bleiben, hält er zur Familie und ist somit das Band, das die Generationen verbindet.

Schöner Umschlag - verschenkter Inhalt

Der viele Leerlauf in der Erzählung ist es letztlich, der dem Roman jegliche Spannung nimmt. Die Personen werden nur lückenhaft entwickelt und man lernt sie nie wirklich kennen und daher auch nicht lieben. Das ist schade, denn man hätte aus der Ausgangskonstellation durchaus eine spannende Familiensaga entwickeln können. Teilweise ist es auch gelungen, aber leider nicht durchgehend, und das Einweben der Schachgeschichte wirkt dann eher störend, soll aber laut Buchtitel das zentrale am Roman sein.

Der Buchtitel immerhin trifft den Inhalt des Buches recht genau, wenngleich er eigentlich aus dem spanischen Original wörtlich übersetzt "Der elfenbeinerne Elefant" (El elefante de marfil) heissen müsste. Die Läuferfigur im Schach war in frühen Zeiten ein Elefant, wie die Autorin im Roman und auch im durchaus interessanten fünfzehnseitigen Nachwort mitteilt. Interessant ist auch der Umschlag des Romans, den man abnehmen kann und, da er doppelt gefaltet ist, ihn auseinander falten kann und so eine alte historische Karte der Stadt Sevilla erhält. Zudem sind Fotos der Kathedrale von Sevilla abgebildet. Den einzelnen Kapiteln sind Zitate über Schach vorangestellt, wobei es leicht verstörend wirkt, dass es keine historischen, sondern auch neuere wie von Anatoli Karpov sind und somit ein Bezug aus der Geschichte heraus fehlt. Schade, die Geschichte hätte durchaus mehr hergegeben, bietet Schach doch immer ein gute Ausgangsposition für Krieg, Intrigen, Geheimnisse und unerwartete Winkelzüge. Hier wurde eine gute Möglichkeit verschenkt.

Der Turm der Könige

Nerea Riesco, Scherz

Der Turm der Könige

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