Die Familie Hardelot

  • Knaus
  • Erschienen: Januar 2010
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  • Knaus, 1947, Titel: 'Les Biens de ce monde', Originalausgabe
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Daniela Loisl
941001

Histo-Couch Rezension vonApr 2011

Sprachlich wie erzählerisch ein einzigartiger Genuss

Kurzgefasst:

Satt, selbstzufrieden und in der wohligen Gewissheit, dass sich nie etwas ändern wird: Die Fabrikantenfamilie Hardelot aus der französischen Provinz wiegt sich vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs in trügerischem Glück. Doch innerhalb einer Generation wird ihre bürgerliche Welt für immer hinweggefegt.

 

 

 

Die Familie Hardelot beschreibt das Leben einer provinziellen Bourgeoisie-Familie, den Hardelots, zwischen den beiden Weltkriegen. Allen voran steht der Patriarch Julien Hardelot, und für ihn versteht es sich von selbst, dass sich alle nach seinen Wünschen und Anordnungen richten. So ist es bereits beschlossene Sache, dass Pierre, Juliens Enkel und Sohn von Charles und Marthe Hardelot, Simone heiraten wird, die ein Vermögen mit in die Ehe bringen wird. Pierre jedoch liebt Agnés, deren Eltern Bierbrauer waren und so natürlich weit unter dem Stand der Hardelots stehen, und so wissen beide, dass sie sich fügen müssen. Dann aber kommt es unerwartet zum Skandal, der die so beständig scheinende Fassade der Hardelots zum Einsturz bringt.

Knappe, aber präzise und treffende Formulierungen

Eine Familiegeschichte auf gerade einmal 250 Seiten. Man ist versucht zu sagen: "Unmöglich"! Was aber kaum ein anderer Autor schaffen kann, gelingt Irène Némirovsky bravourös! Sprachlich sind Némirovskys Sätze eher karg und ohne Ausschweifungen und detailverliebten Beschreibungen. Ihr vielleicht sogar nüchtern und skizzenhaft anmutender Erzählstil birgt aber ein immenses Feingefühl für zwischenmenschliche Schwingungen und Empfindungen, die durch eben diese nüchterne Sprache erst richtig zum Tragen kommt. Die sprachgewaltige Autorin schafft es mit einfachen und wenigen Worten, Szenen so pointiert wiederzugeben, dass der Leser nicht nur nach wenigen Sätzen mitten im Geschehen ist, sondern explizit weiß, wie die einzelnen Darsteller sich fühlen. Was so kalt und leidenschaftslos wirkt, entfaltet sich schon nach wenigen Seiten zu einer unglaublich feinfühligen Analyse menschlicher Ängste und Hoffnungen, Stärken und Schwächen.

Némirovsky erzählt die Geschichte um die Hardelots in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und so kommt zu der ganzen familiären Tragik auch noch der Schrecken der beiden Weltkriege hinzu. Durch die Papierfabrik sind die Hardelots die größten Arbeitgeber in der Umgebung und rangieren gesellschaftlich ganz oben. Juliens Wünsche sind Gesetz und als Pierre anders handelt als der Großvater geplant hat, kommt es zum ersten großen Bruch der Familie. Julien widersetzt man sich nicht ungestraft, und da sein Sohn Charles ihm nicht zu widersprechen wagt, ist es für den Alten auch ein Leichtes, Pierre mit Verachtung zu strafen. Die Autorin schafft es auf sehr intelligente Weise, den langsamen, aber kontinuierlichen Untergang der Familie darzulegen, so dass der Leser den sukzessiven Verlust scheinbar selber verspürt.

Dekuvrierendes Psychogramm einer Familie

Obwohl das Buch vom Umfang her ziemlich knapp bemessen ist, hat die Autorin alles hineingepackt, was für einen aussagekräftigen und authentischen Familienroman notwendig ist. Hoffnung und Liebe, Enttäuschungen und Ängste, Verlust und Trauer werden von den so lebendig geschaffenen Figuren ebenso selbstverständlich getragen, wie sie bei den wohl ereignisreichsten und dramatischsten Geschehnissen der Zeit, der Weltkriege, wieder zueinander finden.

Ist Julien der tyrannische Despot, so ist Charles, sein Sohn, das krasse Gegenteil. Schwach und sich stets den Anordnungen beugend, stellt er sich zwar gefühlsmäßig hinter seinen Sohn, als dieser seinen eigenen Weg gehen will, schafft es aber nicht, dies vor dem alten Hardelot zu vertreten. Charles ist sich seines schwachen und unterwürfigen Verhaltens natürlich vollkommen bewusst und erst Jahre später gibt er sich selbst die Chance seine Stärke zu beweisen.

Pierre und Agnés sind ein Ehepaar das sich aufrichtig liebt und es schafft, auch ohne Rückhalt des alten Hardelots glücklich zu sein. Vergessen werden darf auch nicht Simone, Charles einstige Verlobte, die ihm nie verziehen hat, dass er ihr Agnés vorgezogen hat. Auf subtile Weise schafft sie es dennoch, Charles die immense Kränkung zu vergelten.

Némirovsky hatte ein begnadetes Talent, Lebendiges auf Papier festzuhalten und auf cineastische Weise wiederzugeben. Das Buch ist es Wert, gelesen zu werden, es ist einfach zu lesen und dennoch von unheimlich geballter Kraft und Ausdrucksstärke, wie es selten bei einem anderen Autor zu finden ist.

Die Familie Hardelot

Irène Némirovsky, Knaus

Die Familie Hardelot

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