Seenacht

  • Ars Vivendi
  • Erschienen: Januar 2010
  • 1
  • Ars Vivendi, 2010, Titel: 'Seenacht', Originalausgabe
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Jörg Kijanski
651001

Histo-Couch Rezension vonJan 2011

Zu viel Ablenkung vom Märchenkönig

Kurzgefasst:

Als Alexander von der Thann, Graf mit kulinarischen Neigungen und k.u.k.-Geheimdetektiv, im Juli 1886 von Kaiserin Elisabeth höchstpersönlich beauftragt wird, im mysteriösen Todesfall ihres Cousins, des bayerischen Königs Ludwig II., diskret zu ermitteln, ahnt er noch nicht, dass er sich auf eine äußerst gefährliche Mission einlässt. In München eingetroffen, sind die Akten bereits geschlossen. Doch von der Thann tüftelt nicht nur gerne Kochrezepte aus; er verfügt auch über ein untrügliches kriminalistisches Gespür, das ihn nicht nur einmal in Lebensgefahr bringt. Und welche Rolle spielt die bezaubernde Juliane von Schönthal, in die er sich rettungslos verliebt, obwohl sie selbst in den Fall verstrickt zu sein scheint? Schließlich kommt der Geheimermittler einer unglaublichen Verschwörung auf die Spur, deren Erschütterungen bis nach Wien reichen.

 

Die österreichische Kaiserin Elisabeth bittet ihren Geheimdetektiv Graf Alexander von der Thann, die genauen Umstände des Todes ihres geliebten Cousins zu untersuchen. Angeblich geistesschwach wurde König Ludwig II. seiner Regentschaft enthoben und in Schloss Berg inhaftiert. Bereits am nächsten Tag, dem 13. Juni 1886, tötet er bei einem Spaziergang zunächst seinen Arzt Dr. Gudden und anschließend sich selbst im Würmsee (heute Starnberger See), wo er ertrinkt. So jedenfalls die offizielle Version der bayerischen Polizei, die aber offenbar nur ein Ziel hat, nämlich die Akten schnellstmöglich zu schließen. Kaiserin Elisabeth glaubt an diese Variante keine Sekunde, sondern geht von einem Kapitalverbrechen aus und schickt kurzerhand von der Thann nach München, wo er mit eigenen Ermittlungen die Vorfälle klären soll.

 

 

"Und wer hat Sie beauftragt? Die bayerische Regierung wird es wohl nicht gewesen sein. Für die ist der Fall abgeschlossen. Wenn es denn überhaupt je einen Fall gegeben hat."

"Sagen wir es so: eine Wittelsbacherin mit Wohnsitz in Wien."

 

In München erfährt von der Thann nur eisige Ablehnung von offizieller Seite. Dafür lernt er jedoch Leonard Savigny kennen, der für seinen Großonkel, den preußischen Reichskanzler Otto von Bismarck, ebenfalls den Tod des "Märchenkönigs" untersuchen soll. Beiden gelingt es zunächst, einige ehemalige Mitarbeiter des Königs aufzufinden, die ganz unterschiedliche Einblicke in das Leben seiner Majestät geben. Dabei zeigt sich immer mehr, dass die offizielle Variante vom Freitod die mit Abstand unwahrscheinlichste Darstellung der Ereignisse ist.

 

 

"Würde die offizielle Darstellung der Todeszeit stimmen, dann hätte ja nach dem Tod Guddens der so sehnlich herbeigewünschten Flucht nichts mehr im Weg gestanden. Der König starb aber sechsundsiebzig Minuten vor Gudden, den er ermordet haben soll."

 

Über den mysteriösen Tod Ludwigs II., dem verträumten "Märchenkönig", dem die Nachwelt die Schlösser Neuschwanstein, Herrenchiemsee und Linderhof zu verdanken hat, ranken sich die wildesten Spekulationen. Autor Alexander Ballhaus, der eigentlich Johannes Thiele heißt, hat intensiv recherchiert und einen fundierten Roman vorgelegt, dessen "Auflösung" des Falles nach dem Motto daherkommt "So hätte es - anhand der bekannten Fakten - gewesen sein können." Immer dann, wenn es um das Alltagsleben des Königs geht, hat man eine höchst ansprechende Lektüre in der Hand. Leider hat der Autor aber mit seinem Roman über das Ziel hinausgeschossen, und würde auf dem Buchcover zudem nicht "Kriminalroman" stehen, so könnte man eine höhere Bewertung rechtfertigen. Es handelt sich um einen "Historischen Roman", in dem zwar auch ermittelt wird, aber eben nur "auch".

Zunächst einmal will der kommende Wiener Opernball (seitenlang) vorbereitet werden, der ein oder andere Tanz getanzt werden, und da Graf von der Thann auch noch ein großer Genussmensch ist, geht es in zahlreiche Kaffeehäuser und Restaurants. Warum dabei eine ganze Speisekarte mit all ihren 24 Gerichten vorgelesen werden muss, ist ebenso rätselhaft wie beispielsweise die detaillierte Beschreibung des Tagesablaufes von König Ludwigs Küchenjungen. Nicht, dass dies uninteressant ist, aber über zehn Seiten in einem "Kriminalroman"? Abgeschlossen wird der Roman mit besagter "Auflösung", wobei - immer wieder ärgerlich - der eigentliche Ermittler nur deswegen einen Erfolg verbuchen kann, da ihm Kommissar Zufall zur Hilfe eilt.

Wer sich für die Historie der k.u.k.-Zeit oder für den Märchenkönig und dessen Ableben interessiert, findet mit Seenacht eine gelungene Geschichte, allerdings eine mit etlichen Längen, die den kriminalistischen Plot keinen Schritt voranbringen, sondern vielmehr von diesem ablenken. Schade für einige Leser/Innen dürfte zudem sein, dass Kaiserin Elisabeth nur eine kleine, fast schon unscheinbare "Gastrolle" spielt. Die eingebaute, ebenfalls ordentlich Platz in Anspruch nehmende Liebesgeschichte ist nur etwas für Hartgesottene: "Sie versank in Glückseligkeit nach so vielen schrecklichen Sorgen und verbarg ihr heißes Gesicht an seiner Schulter." Wiederholt irritiert der Autor bei seiner Wortwahl oder haben Sie schon mal "kapriziert" oder mit anderen Mitreisenden ein Zugabteil "okkupiert"?

 

Seenacht

Alexander Ballhaus, Ars Vivendi

Seenacht

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