Die Sandelholzstrafe

  • Insel
  • Erschienen: Januar 2009
  • 3
  • Insel, 2001, Titel: 'Tanxiang xing', Originalausgabe
Die Sandelholzstrafe
Die Sandelholzstrafe
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Rita Dell'Agnese
901001

Histo-Couch Rezension vonOkt 2010

Erschütternd brutal und poetisch zugleich

Kurzgefasst:

Viel Neues geschieht im China des Jahres 1899: Von überall her drängen fremde Menschen in das zuvor verschlossene Reich. Sie bringen etwa die Eisenbahn, die bei der Provinzstadt Gaomi über die Gräber der Ahnen verlaufen soll. Vieles geht aber auch zu Ende in diesen letzten Tagen des Jahrhunderts: Das Kaiserreich liegt in Agonie, ebenso wie Sun Bing, der Opernsänger und Anführer des Aufstands gegen die Trasse und deren Erbauer. Um seinen Ungehorsam zu ahnden, bündelt die Staatsmacht all ihre Kräfte und verordnet ein letztes Mal die Sandelholzstrafe, die grausamste und zugleich kunstvollste der überkommenen Foltermethoden. Leib und Leben nicht allein des Opfers, sondern auch seiner Tochter, ihres Ehemanns, ja selbst des Henkers und des Richters stehen mit diesem Urteilsspruch auf dem Richtplatz der Geschichte.

 

Wie gehen Menschen damit um, eine Epoche sterben zu sehen und mit Werten konfrontiert zu werden, die alles in Frage stellen, was zuvor unverrückbare Wahrheit gewesen ist? Mo Yan lässt den Opernsänger Sun Bing zum Anführer eines Widerstandes avancieren, der das Ziel verfolgt, den Bau einer neuen Eisenbahnlinie über die Gräber der Ahnen hinweg zu verhindern. Schauplatz ist die kleine Stadt Gaomi in der chinesischen Provinz. Damit aber stellt sich der geachtete Mann gegen die Obrigkeit, zeigt sich dem untergehenden Kaiserreich gegenüber ungehorsam. Im letzten Jahr des 19. Jahrhunderts soll deshalb noch einmal der Glanz des Kaiserreichs erstrahlen und seine Macht demonstriert werden: Über Sun Bing wird die Sandelholzstrafe verhängt, eine ausgeklügelte und brutale Form von Folter und Zerstörung. Die Strafe verändert indes nicht nur Sun Bings Leben drastisch, es greift auch in das Leben von Su Bings Tochter ein - und letztlich in dasjenige derer angeheirateten Familie.

Wechselnde Erzählperspektive

Der Leser wird in diesem Roman nicht mit einer einzigen Sichtweise konfrontiert. Mo Yan hat die Ich-Perspektive gewählt, um die Ereignisse zu schildern. Doch ist es nicht ein Erzähler, der den Leser durch die hierzulande fremde Kultur und deren Gesetzmäßigkeiten führt, es sind gleich mehrere. In allen Erzählern spielgelt sich deren kultureller und gesellschaftlicher Hintergrund. Es ist eine Parade der chinesischen Tugenden, die hier vorgeführt wird. Und zugleich ein mitreißendes Bild auf den gedanklichen und effektiven Ungehorsam, auf verborgene Wünsche und unerlaubte Träume, die sich nur ganz vereinzelt Bahn brechen, um - kaum an der Oberfläche aufgetaucht - mit aller Härte vernichtet zu werden. Der chinesische Autor Mo Yan, der selber in der Provinzstadt Gaomi lebt, schafft es, durch die wechselnde Erzählperspektive eine Art chinesische Oper aufzuführen. Kraftvoll treten die einzelnen Charaktere zutage. Sei es nun der rebellierende Sun Bing, der in seinem Wunsch, den Ahnen Gehorsam zu leisten und ihnen Schutz zu bieten, alles andere als ein Rebell ist, sei es dessen Tochter oder der Henker, zugleich Schwiegervater von Sun Bings Tochter - sie alle zeigen sich facettenreich und berührend.

Nichts für sensible Gemüter

Mo Yan kennt keine Zurückhaltung, wenn es um die Schilderung von Folter, Gewalt und Zerstörung geht. Es sind nicht bluttriefende Schlachtszenen, die sich hier in den Mittelpunkt schieben sondern subtile und dadurch drastische Szenen von den Auswüchsen des menschlichen Geistes, wenn es darum geht, im Namen des Herrschenden zu Quälen. Nur der ausgezeichneten Erzählkunst des Autors ist es zu verdanken, dass diese Brutalität nicht in eine verherrlichende Gewaltdarstellung mündet, sondern erklärend für eine Zeit steht, in der das eigene einzelne Leben nichts galt und dennoch jedes einzelne Schicksal eine zentrale Bedeutung für das Leben anderer hatte. Virtuos führt Mo Yan durch diese Zeit - virtuos und ungeschminkt. So ist die Lektüre von Die Sandelholzstrafe eine intensive Arbeit, die mehr als einmal Grausen auslöst und den Geist der Lesenden gefangen nimmt, lange darin nachhallt und erschüttert.

Kraftvolle Sprache

Ist es die Sprachgewalt Mo Yans oder die Übersetzung, das diesen Roman zu einem starken Leseerlebnis macht? Wohl von beidem etwas. Die Schilderungen kommen in einem eigenen Rhythmus daher, poetisch und leicht zugänglich zugleich. Es sind die Worte eines Mannes, der die Sprache des einfachen Volkes spricht und auf Schnörkel oder hochgeistige Satzkombinationen verzichtet, aber genau dadurch eine feine und sensible Erzählung vorlegt. So bleibt der Roman von der Sprache her leicht lesbar, nicht aber vom Inhalt her. Dieser muss, wie schon erwähnt, zuerst einmal verkraftet werden.

Weitab von Mainstream

Die Sandelholzstrafe ist ein gewaltiger Roman, der sich weitab vom Gängigen bewegt. Es ist eine erschütternde und poetische Geschichte zugleich - ein Roman, der lange in den Gedanken nachhallt. Wer sich die Lektüre vornimmt, sollte sich aber dessen bewusst sein, dass er hier ein Stück Geschichte vorgesetzt bekommt, das nur in kleinen Happen mundet und Biss für Biss verdaut werden muss, um sich damit nicht den Magen zu verderben.

 

Die Sandelholzstrafe

Mo Yan, Insel

Die Sandelholzstrafe

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