Goldstein

  • Kiepenheuer & Witsch
  • Erschienen: Januar 2010
  • 4
  • Kiepenheuer & Witsch, 2010, Titel: 'Goldstein', Originalausgabe
Goldstein
Goldstein
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Carsten Jaehner
901001

Histo-Couch Rezension vonSep 2010

Packend konstruierter Fall im Berlin der Weimarer Republik

Kurzgefasst:

Berlin 1931: Die Wirtschaftskrise verschärft sich, die Auseinandersetzungen zwischen SA und Rotfront werden gewalttätig, unter den Ringvereinen tobt ein Machtkampf und Gereon Rath bekommt den Auftrag, den US-Gangster Abraham "Abe" Goldstein zu beschatten. Aus einer Gefälligkeit für das Bureau of Investigation wird ein tödlicher Wettlauf.
Es beginnt im KaDeWe. Alexandra, genannt Alex, und Benny, beide obdachlose Gelegenheitsdiebe, lassen sich im prächtigsten Konsumtempel der Stadt einschließen, um Schmuck und Uhren zu erbeuten. Doch was bei Tietz und Karstadt noch ein Kinderspiel war, geht nun fürchterlich schief. Am Ende kann Alex knapp entkommen, muss aber mit ansehen, wie Benny von der Balustrade stürzt - und dass ein Schupo daran beteiligt war. Von da an wird sie gejagt.
Gereon Rath hingegen langweilt sich auf seinem Beobachtungsposten im Hotel Excelsior, in dem Goldstein Quartier bezogen hat. Der Gangster scheint sich damit abgefunden zu haben, unter Beobachtung der Polizei zu stehen. Dass Goldstein sich längst frei in der Stadt bewegt und dort eine Waffe besorgt hat, ahnt niemand. Unterweltboss Johann Marlow zwingt Rath derweil zu einer privaten Ermittlung: Der rote Hugo, Chef des Ringvereins Berolina und Marlows Geschäftspartner, ist verschwunden. Schnell gerät Gereon zwischen die Fronten eines Bandenkriegs.
Und dann ist da noch Charly Ritter, die Nochimmernicht-Verlobte von Gereon Rath, die mittlerweile ihr Juraexamen bestanden und den Vorbereitungsdienst im Amtsgericht Lichtenberg angetreten hat. Als sie eine junge Obdachlose, die ohne Fahrschein in der S-Bahn erwischt wurde, bei der Vernehmung entwischen lässt, berühren sich ihre Ermittlungen mit denen Gereons - und sie bekommen richtig Krach.

 

Berlin im Jahr 1931. Gereon Rath bekommt den Auftrag, den US-Verbrecher Abraham Goldstein zu beschatten, dessen Erscheinen in Berlin von den amerikanischen Kollegen angekündigt wurde. Mit wenig Begeisterung macht er sich an die Arbeit und lässt sich sofort bei Goldsteins Ankunft blicken, damit der weiß, dass er beobachtet wird. Zurr gleichen Zeit brechen nachts zwei Jugendliche im KaDeWe ein, um Schmuck zu klauen. Auf der Flucht vor der Polizei wird der Junge absichtlich getötet und seine Partnerin Alex Zeugin davon.

Gereon Raths Dauer-Nichtverlobte Charlotte Ritter hat derweil ihr Juraexamen bestanden und macht ihren Vorbereitungsdienst beim Amtsgericht. Dort soll sie die inzwischen geschnappte Alex verhören, dieser gelingt es aber, ihr zu entwischen. Charlotte macht sich auf die Suche nach ihr und gerät dabei in größte Gefahr. Zu all dem kommt noch, dass Raths Unterweltbekanntschaft Marlow ihn darum bittet, den Mord an einem Bandenmitglied aufzuklären.

Rath und Charlotte geraten bei ihren Ermittlungen, von denen sie sich gegenseitig nichts erzählen dürfen, in einen fatalen Bandenkrieg, und auch Nazis fangen an, die Stadt mehr und mehr aufzumischen. Und es gibt weitere Opfer, und Gereon Rath versucht verzweifelt, alle Fäden zusammenzuspinnen und den Drahtzieher zu finden.

Gute Dramaturgie des Romans

Volker Kutscher hat mit Goldstein seinen dritten Krimi um Kommissar Gereon Rath geschrieben und damit wohl seinen bislang packendsten und spannendsten Roman der Reihe vorgelegt. Schon von der ersten Seite an, wo Alex und ihr Freund sich im KaDeWe einschließen lassen, ist Spannung vorhanden, die sich über den ganzen Roman hält und nie Leerlauf hat. Kutscher schafft eine derart dichte Atmosphäre, dass man sich tatsächlich im Berlin der Weimarer Republik wähnt, wo allmählich die Luft anfängt zu brennen. Das Titelbild auf dem Buchcover könnte treffender nicht sein und zeigt dem Leser bereits, was ihn erwartet.

Und der Leser bekommt einen spannenden Fall geliefert, dessen Konstrukt sehr komplex ist. Kutscher versteht es, die verschiedenen Fäden letztlich alle zusammenzuführen und zwischen den einzelnen Geschichten Zusammenhänge herzustellen, um am Ende eine interessante und plausible Lösung herbeizuführen. Das ist große Erzählkunst, kein Detail wird ausgelassen oder vergessen, alles hat Sinn, Hand und Fuß, und packend ist es allemal.

Alte und neue Mitstreiter

Natürlich trifft man auch auf viele alte Bekannte, die man schon aus den beiden Vorgängern Der nasse Fisch und Der stumme Tod kennt, Bekannte, die nicht immer sympathisch sind, deren Erscheinen man aber doch liebgewonnen hat. Neben den Kollegen und Damen und Herren aus den Büros sind dies natürlich auch die Unterweltgröße John Marlow, der sich gerne mal der Dienste Raths bedient, dem das unangenehm ist, der aber trotzdem seine Vorteile an der Dienstleistung hat. Jeder hat Dreck am Stecken im Berlin der Zeit, Polizisten sind immer die guten, haben aber scheinbar auch ihren Preis.

Die Beziehung zwischen Gereon und Charlie hängt wie immer am seidenen Faden, und beide schaffen es wie immer nicht, das klärende Gespräch zu finden. Zu allem kommt, dass Charlie ein Angebot hat, für ein halbes Jahr nach Paris zu gehen, es ihr aber nicht gelingt, dies mit Gereon zu besprechen. Es ist eben nie der passende Moment, und Dienst geht immer vor. Die problembeladene Beziehung der beiden, in der sich berufliches mit privatem stets vermischt und so beider Leben verkompliziert, zumal niemand aus der "Burg", dem Polizeipräsidium, davon weiß, ist ein weiterer Aspekt, der den Roman interessant und lesenswert macht. Keine Sorge, die Plänkelei stört nicht, gehört aber in das Zeitbild unbedingt dazu und wird durch den Hund Kirie sogar ein bisschen niedlich.

Kutscher hat hervorragend recherchiert und kennt sich aus in seinem Berlin. Die Verfolgungsjagden durch die Stadt und die einzelnen Punkte, an denen die Handlung spielt, sind gut gewählt und passend beschrieben. Das schafft eine dichte Atmosphäre, und man wähnt sich mittendrin statt nur dabei. Dass die "Braunen" immer wieder durchs Bild laufen und erste Spuren hinterlassen, gehört dazu und wird den Leser auch noch durch weitere zu erwartende Romane begleiten.

Uneingeschränkt zu empfehlen

Kutscher beschönigt nichts und zeigt auch den aufkommenden Judenhass. Wenn Abe Goldstein in der U-Bahn Nazis begegnet, die einen "Schwarzrock" verfolgen und belästigen, dann ist das wohl authentisch und zieht Konsequenzen nach sich. Ein amerikanischer Jude, der nicht als solcher erkennbar ist, hilft einem deutschen Juden vor Nazis, wer hätte das gedacht. Dass alle anderen Personen wegsehen, zeigt die Aktualität des Buches, denn viele schauen noch heute weg.

Somit öffnet Goldstein das Tor zu weiteren Fällen Gereon Raths, die in der Weimarer Republik und schließlich im Dritten Reich spielen werden. Der 574 Seiten starke Roman bietet bis auf die Internetadresse zu Gereon Rath keine Extras, aber er hat sie auch nicht nötig. Ein dichter, bis zum Exzess spannender Roman, der nicht nur Krimi-Fans begeistern dürfte. Man kann ihn auch lesen, ohne die beiden Vorgänger zu kennen, dennoch ist deren Lektüre zuvor empfehlenswert. Auch für Leser, denen die Dreißiger Jahre in Deutschland unangenehm sind, sei dieser Roman, die ganze Reihe ans Herz gelegt. Wenn Geschichtsunterricht so spannend und lehrreich wäre, gäbe es vielleicht ein paar Idioten weniger auf dieser Welt.

Goldstein war zurecht der Volltreffer der Kollegen der Krimi-Couch im Februar 2011 und kann ohne Einschränkungen weiterempfohlen werden.

 

Goldstein

Volker Kutscher, Kiepenheuer & Witsch

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