Groschenroman

  • Bebra
  • Erschienen: Januar 2009
  • 1
  • Bebra, 2009, Titel: 'Groschenroman: Das aufregende Leben des Erfolgsschriftstellers Axel Rudolph', Originalausgabe
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Jörg Kijanski
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Histo-Couch Rezension vonJun 2010

 Große Hommage an einen vergessenen (Schund?-)Autor

Kurzgefasst:

Der Bochumer Bergmann Axel Rudolph steigt Anfang der 1930er Jahre vom zeitweiligen Obdachlosen zum gefeierten Drehbuchautor und Schriftsteller auf. Neben mehr als 50 Abenteuerromanen und Krimis schreibt er Drehbücher, Reportagen und Hörfunkbeiträge, gespeist aus seiner Fantasie und den Erlebnissen während des Krieges. 1939 jedoch werden Rudolphs Schriften als moralisch wertlos abgestempelt. Eine Affäre mit der Tochter eines NSDAP-Funktionärs bringt den einstigen Erfolgsautor vor den Volksgerichtshof: Am Ende geht es wie zuvor in seinen Groschenromanen um Leben und Tod...

 

Groschenroman - Das aufregende Leben des Erfolgsschriftstellers Axel Rudolph. Mal ehrlich, wer kennt den Erfolgsschriftsteller Axel Rudolph, der mit vollem Namen Oskar Karl Alexius Rudolph heißt, 1893 geboren und am 30. Oktober 1944 von den Nazis ermordet wurde? Es ist unglaublich! Da gewinnt jener Rudolph, der unter dem Namen seines Freundes Hermann Freyberg an einem "Literaturwettbewerb" von Göbbels teilgenommen hat, im Jahr 1944 für die damalige Zeit unglaubliche zehntausend Reichsmark, während er bereits im Konzentrationslager Brandenburg-Görden dem Tod unter der Guillotine entgegen sieht. Doch so irrsinnig wie diese tragische Posse ist fast sein ganzes Leben.

Geboren 1893 in Köln, findet er als Bergarbeiter in Bochum 1914 eine erste Arbeit. Er verdient nur wenig Geld, von dem er das meiste zuhause abliefern muss. Doch dann folgt der Erste Weltkrieg und Rudolph ist mittenmang dabei.

 

Der einundzwanzigjährige Hauer Rudolph leistete seinen Dienst am Vaterland - auch wenn ihm das Vaterland so übermäßig nicht am Herzen lag, aber das Bild an sich, der Arbeitsmann, der Soldat, das gefiel ihm. [...] Strategische Gedanken machten sich Andere; auch unter Tage fragte Axel Rudolph nicht, wohin ein Stollen führte, sondern schlug Kohle heraus, was drin war.

Der Weg nach Frankreich wird nicht zum erhofften Siegeszug, sondern führt schon im Sommer 1915 in russische Gefangenschaft. Im Winter 1916 gelingt ihm durch einen glücklichen Zufall die Flucht, die ihn nach längerer Zeit in die Mongolei führt, wo er in einer Erzgrube einen Job findet. Im Frühjahr 1917 gelingt ihm ebenfalls auf abenteuerliche Weise eine Reise, die ihn über Moskau zunächst nach Dänemark führt, wo er den Schriftsteller Jeppe Aakjaer kennenlernt. Und nicht nur den, sondern auch seine erste Frau Marie, mit der er sich kurzerhand verlobt. Doch in Deutschland zerfällt die Ehe, da Rudolph zu sehr dem Alkohol zuspricht, kaum Arbeit findet, stattdessen zahlreiche Gefängnisse von innen kennen lernt. Rudolph gehört zum Bodensatz der Gesellschaft. Dann der völlig unerwartete Durchbruch: Bei einem Wettbewerb der Ufa-Filmstudios gewinnt er unglaubliche fünfhundert Reichsmark, mehr als er in einem Jahr als Bergarbeiter verdiente. Ein Umzug nach Berlin und ein Job als Hilfsdramaturg folgen. Parallel startet er eine Karriere als Schriftsteller. Er schreibt "Abenteuer- und Kriminalromane", die mitunter in Ländern spielen, die er nie bereist hat. Ein großer Blender ist er zeitlebens.

 

Sechzigtausend Wörter, zweihundertachtzigtausend Buchstaben fanden sich in so einem Buch. Fünfzehnhundert in der Stunde, zehntausend am Tag, höchstens sonntags frei, nie Urlaub... Im Winter 1932 schaffte er fünf Bücher dieses Kalibers; außerdem ein paar Kurzfassungen und Radiobeiträge."

Doch das Glück währt nicht ewig, Probleme mit der SA führen zum Verlust seiner Anstellung bei der Ufa. Rudolph bezieht mit seiner neuen Geliebten Gertrud Beier ein Haus in Semlin, einem beschaulichen Dorf im Havelland. Aber auch hier macht der Naziterror nicht halt und dass sich Rudolph unbedingt auf eine Beziehung zu der verheirateten Tochter seiner Nachbarn, lupenreine Nazis mit besten Beziehungen, einlässt, bringt ihn letztlich in eine ausweglose Lage.

 

Für seinen Freund Freyberg und dessen jüdische Ehefrau würde die Luft allmählich ganz schön dünn werden. Vielleicht sollten die beiden gemeinsam einen längeren Afrika-Aufenthalt einplanen, da war man wenigstens unter zivilisierten Menschen."

Ein Leben in bitterer Armut, russischer Kriegsgefangenschaft, eine glückliche Zeit in Dänemark, danach Gelegenheitsjobs, Alkoholexzesse, Prügeleien, Gaunereien, unzählige Gefängnisaufenthalte, Trennung von seiner ersten großen Liebe und der Tochter. Dann der Durchbruch als Autor von Groschenromanen, eine weitere große Liebe und letztlich der Gang zum Volksgerichtshof, wo Roland Freisler keine Gnade kennt. Seinen Lebensweg und den seiner Lebensgefährtin Gertrud kreuzen zahlreiche illustre und bekannte Personen, darunter Hermann Freyberg, unter dessen Namen er nach einem Berufsverbot weitere Romane veröffentlicht. Gertrud Beier ging mit Leni Riefenstahl und Magda Friedländer zur Schule. Letztere ging in die Geschichte als Mörderin ihrer eigenen Kinder ein; da hieß sie mit Nachnamen Göbbels. Zahlreiche dieser illustren Figuren werden im Groschenroman erneut zum Leben erweckt; mal mehr, mal weniger intensiv.

Martin Keune liefert mit Groschenroman eine eindrucksvolle und lesenswerte Hommage an einen längst in Vergessenheit geratenen Autor und gleichzeitig ein beeindruckendes Dokument über das Leben in Stadt (Berlin) und Land (Semlin), und dies in den entbehrungsreichen 1920er Jahren ebenso wie in der Zeit der Diktatur des Dritten Reiches. So unglaublich kann ein einzelnes Menschenleben, so spannend, so lehrreich kann Geschichte sein. Wie das Grauen Einzug hält in dem verschlafenen Provinzkaff Semlin ist ebenso "beeindruckend" wie erschreckend. Eine mehr als gelungene Mischung aus Biografie, Geschichte und einem Groschenroman. Der über sechzig (!) Seiten umfassende Anhang zeugt von einer grundsoliden Recherche und ist nicht weniger interessant als der eigentliche Roman.

Groschenroman

Martin Keune, Bebra

Groschenroman

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