Ich zähmte die Wölfin

  • dtv
  • Erschienen: Januar 1953
  • 1
  • dtv, 1951, Titel: 'Mémoires d\\\'Hadrien', Originalausgabe
Ich zähmte die Wölfin
Ich zähmte die Wölfin
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Almut Oetjen
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Histo-Couch Rezension vonNov 2009

Sowenig ich in einer Welt ohne Bücher leben möchte, sowenig werde ich in ihnen die Wirklichkeit suchen, weil ich weiß, dass die ganze Wirklichkeit darin nicht Raum hat.

Kurzgefasst:

In seiner Villa in Tibur (Tivoli) schreibt der todkranke 60-jährige Kaiser Hadrian an seinen 17-jährigen Adoptivenkel, den späteren Herrscher Marc Aurel (121-180). Hadrian meditiert über die wechselnden Gesichter seines eigenen Ichs im Lauf seines Lebens: In Spanien geboren macht er in Rom politisch und gesellschaftlich Karriere und wird von Kaiser Trajan adoptiert. Die Friedenspolitik des feinsinnigen und kunstliebenden Hadrian, die im Gegensatz zur trotzigen Eroberungswut seines Vorgängers Trajan steht, lässt das Römische Reich für kurze Zeit aufatmen. Hadrian versucht, der korrupten Bürokratie durch eine umfassende Verwaltungs- und Heeresreform Einhalt zu gebieten, fördert Kunst und Kultur, lässt beeindruckende Bauwerke im ganzen Römischen Reich errichten und gründet zahlreiche Städte. Seine große Leidenschaft aber gilt Griechenland und dem bithynischen Knaben Antinous. Als Antinous mit 20 Jahren Selbstmord begeht, bricht das private Glück Hadrians auf einen Schlag zusammen. Zum Andenken lässt er seinen Geliebten in unzähligen Skulpturen und Kultstätten im ganzen Reich verewigen und benennt sogar eine Stadt nach ihm. Nur seine politische Verantwortung hält den trauernden und kranken Herrscher letztlich davon ab, seinen Schmerzen durch Selbstmord zu entgehen. Er findet Trost im Mystischen und stirbt schließlich mit seiner Seele versöhnt im Kreis seiner Vertrauten in Baiae/Neapel.

 

Der römische Kaiser Hadrian schreibt, schwer krank und sechzigjährig, in seiner Villa in Tibur Reflexionen über sein Leben an seinen Adoptivenkel Marcus, den späteren Kaiser Mark Aurel (Marcus Aurelius). Seine Geschichte ist eng verbunden mit der seines Vorgängers und Adoptivvaters Trajan (beide waren spanischer Herkunft), seiner engen Beziehung zu Trajans Frau Plotina, den Kriegen Roms, politischen Säuberungen, Hadrians Liebe zu Frauen und zum Jüngling Antinous, dessen früher Tod ihn schwer belastet. Hadrian verewigt Antinous in Form von Skulpturen und Kulten. Er lässt sich nach einer Reise durch Griechenland sein Mausoleum erweitern, schlägt einen Aufstand nieder, regelt seine Nachfolge und bereitet sich auf sein Ende vor. Hadrians Erinnerungen sind durchsetzt mit Reflexionen über existenzielle Fragen, über Werte und die Möglichkeit des Freitods.

Das erste weibliche Mitglied der Académie Française

Marguerite Yourcenar (1903-1987) wurde 1980/1981 als erste Frau in die Académie Française aufgenommen. Dieser Reputationsklotz hängt seitdem an ihrem Werk, kaum ein Beitrag über sie, auch dieser nicht, kaum ein Klappentext in einem Buch, kaum eine Buchkritik verzichtet auf diesen Hinweis. Als Künstlerin lebte die Französin isoliert, verbrachte die meisten Jahre nicht in Frankreich, sondern in den USA, Maine, Mount Desert Island.

Yourcenars bekanntester Roman

Ich zähmte die Wölfin. Die Erinnerungen des Kaisers Hadrian wurde Yourcenars erster großer Erfolg und ist bis heute ihr wichtigster und bekanntester Roman. Das Buch kommt ohne Dialoge aus, Hadrian zitiert einen Brief und kurze Stellen aus der Literatur, ansonsten gibt er nur seine Erinnerungen wieder. Oft wird über Literatur geschrieben, sie sei sprachlich schön. Yourcenars Prosa gehört mit zur schönsten. Sie ist weitab davon, getexteter Kostümball oder historische Wandtapete zu sein.

Fiktive Erinnerungen in Briefform

Yourcenar wählt für ihren Text die Form des Briefes, die in der Antike recht verbreitet war. Konkret gestaltet sie den literarischen Privatbrief nach, der sich zwar an eine bestimmte Person wendet, durch seinen Inhalt jedoch auch einen größeren Leserkreis zu interessieren vermag. Nur wenige dieser Briefe sind aus der Antike erhalten, darunter der Briefwechsel des Rhetors Fronto mit Kaiser Mark Aurel. Auch verweist Yourcenars Roman auf den Lehrbrief, der sich mit wissenschaftlichen oder philosophischen Gedanken von vornherein an eine größere Leserschaft wendet.

Fünfzehn eng bedruckte Seiten bilden am Ende des Romans eine Bibliographie und geben Aufschluss über die vielfältige verwendete Literatur, die Yourcenar half, sachlich korrekt zu schreiben: antike Quellen, französische, deutsche und englischsprachige Sekundärliteratur. Eine Fundgrube für heutige Leser, die ein tieferes Verständnis für die Zeit, in der der Roman spielt, und eines Teils der Rahmenbedingungen seiner Produktion erlangen möchten.
In einem weiteren Anhang, Notizen zur Entstehung des Buches, erfahren wir viel über die Phasen, in denen Textteile geschrieben, überarbeitet und wieder verworfen wurden. "Der einzige Satz, der nach der Überarbeitung von 1934 stehenbleibt: Ich sehe allmählich den Umriß meines Todes Gestalt annehmen." Auch schreibt Yourcenar hier über ihre Vorstellungen von einem historischen Roman und erklärt, warum manche der Figuren nicht stärker profiliert wurden.

Eine Zeitreise mit moralischer Tiefenebene

Ich zähmte die Wölfin ist nicht nur ein historischer Roman, sondern eine Art Reise in eine verlorene Zeit, die heutige Leser Yourcenars wiederfinden können, in einer Tiefe und einer sprachlichen Qualität, die nur selten erreicht werden. Sich selbst genügende Ästhetik ist dem Hadrian-Buch fremd.
Yourcenars moralisches Werk ist vielschichtig und setzt sich auseinander mit Begründungen für menschliches Verhalten. Der Roman ist getragen von einer Melancholie, wie sie in einem historischen Roman eher ungewöhnlich sein dürfte.
Sein Leben hat Hadrian als formlos beschrieben, ihm jedoch in seinen Erinnerungen, die ein philosophischer Brief an den späteren Kaiser Marc Aurel sind, eine Richtung gegeben.
Gedanken über Rechtsreformen und Steuern bekommt man nicht oft so angenehm zu lesen. Hadrian war kein Gegner der Sklaverei, aber er machte die Freiwilligkeit zur Voraussetzung für eine "Karriere" als Gladiator. Er führte das Erbrecht für Frauen ein und ermöglichte ihnen, Vermögen anzusammeln. Die Meinungen von Rechtsgelehrten, so sie übereinstimmten, machte er für Richter verbindlich und verlieh ihnen so Gesetzeskraft.

Fazit

Ich zähmte die Wölfin ist ein Beispiel dafür, wie Kunst uns der Zeit entheben kann, einer der bedeutendsten historischen Romane, der in jede Ausstattung einer ernsthaften Bibliothek historischer Belletristik gehört.

 

Ich zähmte die Wölfin

Marguerite Yourcenar, dtv

Ich zähmte die Wölfin

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