Kalte Zärtlichkeit

  • dtv
  • Erschienen: Januar 2009
  • 2
  • dtv, 2009, Titel: 'Kalte Zärtlichkeit', Originalausgabe
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Daniela Loisl
841001

Histo-Couch Rezension vonSep 2009

Feine Liebesgeschichte ohne süßen Kitsch, dafür mit interessantem medizinischen Hintergrund

Kurzgefasst:

Liebe im Schatten der Cholera

"Er ist Wissenschaftler, fuhr es ihr durch den Kopf. Nur ein Wissenschaftler kann eine Frau ansehen, als wäre sie ein Reagenzglas voll chemischer Substanzen." Henriette Dahlbeck, Tochter reicher Münchner Kaufleute, hat sich auf einem Ball in den kühlen und geheimnisvollen Arzt und Wissenschaftler Dr. Aaron Nicolai verliebt. Und obwohl man sie vor diesem Mann warnt, setzt sie alles daran, diesen klugen, aber bitterarmen und gesellschaftlich geächteten Mann zu heiraten. Ihr Plan gelingt, und sie sind beide überrascht von den köstlichen Gaben, die das Eheleben für sie bereit hält. Doch ihr Glück steht von Anfang an unter keinem guten Stern. Im August 1854 bricht die Katastrophe über München herein. Immer mehr Menschen sterben in der Hitze des Sommers - die Cholera hat die Stadt erreicht und breitet sich in rasender Geschwindigkeit aus. Aaron und seine junge Frau stehen vor folgenschweren Entscheidungen...

 

München 1854: Als Henriette Dalbeck ihr erstes großes Fest besucht, trifft sie auf den jungen Arzt und Wissenschaftler Aaron Nicolai und weiß trotz ihrer jugendlichen 16 Jahre, dass sie diesen Mann heiraten möchte. Auch Nicolai wäre eine Verbindung recht, wenngleich aus anderen Gründen. Doch auch Nicolais härtester Gegner Rudolf von Lauderbach hat da noch etwas mit zu reden, denn obwohl noch keine offizielle Verlobung zwischen ihm und Henriette stattfand, ist er sich sicher, dass Henriette seine Frau werden wird. Da Lauderbach und Nicolai extrem konträre Ansichten über die Verbreitung von Krankheiten haben und so in verschiedenen Richtungen experimentieren und forschen, sind beide davon überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein, um das Entstehen von Seuchen zu beweisen und auch zu bekämpfen. Als dann zur Zeit der Münchner Industrieausstellung die Cholera ausbricht, spitzen sich die Ereignisse zu.

Kampf um wissenschaftliche Glaubwürdigkeit

Titel und Buchcover suggerieren, dass es sich in diesem Buch bestimmt um eine innige und gefühlsbetonte Liebesgeschichte handeln wird, in der der Protagonist eben Arzt ist. Es geht zwar um die Liebe einer jungen Frau, aber weder schnulzig noch klischeehaft, sondern feinfühlig, klar, denn durchaus realistisch schildert die Autorin diese Beziehung. Der Mann, in den Henriette sich verliebt, ist ein junger Arzt mit jüdischen Wurzeln aus anständigen, aber ärmlichen Verhältnissen. Der bereits bekannte Professor Max Pettenkofer, eine historisch belegte Figur, erkennt das Potential des jungen Mannes und nimmt ihn unter seine Fittiche.

Charlotte Sandmann erzählt mit immenser Empathie das schon beinah krankhafte Streben eines jungen Wissenschaftlers und Arztes nach Anerkennung und finanzieller Unabhängigkeit. Das Erforschen um die Ursache und Übertragung von Krankheiten, im speziellen der Cholera, ist der tragende Teil der Geschichte. Die Autorin zeichnet auf subtile Weise, wie sich damals zwei Gruppen von Ärzten bildeten. Die eine, so auch Prof. Pettenkofer und seine Anhänger, sind davon überzeugt, dass "Miasmen" die Ursache der Cholera ist und die andere Gruppe ist überzeugt, dass "winzig kleine Tierchen", "Bakterien" genannt, dafür ursächlich sind.

Interessante Charaktere mit Tiefgang

Eindrucksvoll, aber ohne belehrend zu wirken, beschreibt Charlotte Sandmann den inneren Kampf ihres Protagonisten Aaron Nicolai, als er durch seine Forschungen herausfindet, dass er stets auf der falschen Seite stand.
Mit viel Feingefühl gewährt Charlotte Sandmann Einblick in die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Henriettes Leben, wohl behütet und verwöhnt, steht im krassen Gegensatz zu Aarons, der sich alles schwer erkämpfen muss und oft nicht weiß, wovon er sich und seinen alten Diener ernähren soll.

Aaron Nicolai, groß gewachsen, charmant und gutaussehend, möchte eine Frau aus reichem Hause, um aus dem ewigen Überlebenskampf herauszukommen. Er macht auch keinen Hehl daraus und nützt das Glück, dass Henriette sich kopfüber in ihn verliebt. Doch da ist noch Rudolf von Lauderbach, einer der größten Gegner Pettenkofers und somit auch Nicolais, der sich sicher ist, dass für Henriettes Vater nur er als Schwiegersohn infrage kommt, denn er ist aus gutem Haus und liebt sie aufrichtig. Die Beziehung zwischen Henriette und Aaron bringt die Autorin dem Leser auf sehr nachvollziehbare und mitunter auch humorvolle Weise näher.

Kommt die Erzählung auch ohne dramatische und nervenzerreißende Szenen aus, so ist der Spannungsbogen dennoch von Beginn an straff gespannt. Sandmann verbindet die feine Beziehungsgeschichte geschickt und stringent mit der Welt der Medizin und gewährt auf sehr subtile Weise Einsicht in Forschung und Entwicklung der damaligen Zeit. Der Leser erlebt mit, wie bei Aaron ein Umdenken seiner Anschauungen stattfindet, wie Henriette sich vom naiven und verwöhnten Geschöpf in eine erwachsene und kluge Frau entwickelt und auch, wie selbstzerstörerisch und rücksichtslos Rudolf auf Abweisung reagiert.

Kalte Zärtlichkeit ist ein fein erzähltes Buch mit niveauvoll erzählter Geschichte über eine einseitige Liebe, die gesellschaftlichen Rangordnungen und die Weiterentwicklung in der Medizin. Authentisch, glaubhaft in leichter und feiner Sprache dargestellt, zeigt die Autorin, dass eine Liebesgeschichte auch ohne detaillierte Sexszenen auskommt.

Schade allerdings ist, dass die Autorin sich in ihrer Anmerkung am Schluss des Romans sehr kurz gefasst hat. Etwas mehr Einblick, weshalb sie gerade dieses Kapitel der Medizin ausgewählt hat und wie es letztendlich zur Gründung der modernen Bakteriologie kam, wäre wünschenswert gewesen.

 

Kalte Zärtlichkeit

Charlotte Sandmann, dtv

Kalte Zärtlichkeit

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