Chinatown

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  • Erschienen: Januar 2009
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  • , 2009, Titel: 'Chinatown', Originalausgabe
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Birgit Stöckel
921001

Histo-Couch Rezension vonAug 2009

Eine feinfühlige Geschichte über die Liebe zweier Frauen vor dem Hintergrund der Goldenen Zwanziger in Hamburg

Kurzgefasst:

Ende der Zwanziger Jahre begegnen sich in Hamburgs Chinesenviertel fremde Welten: Zwei schrille junge Frauen schlendern Arm in Arm durch St. Pauli. Die eine trägt kurzes, kupferrotes Haar und einen kurzen Rock, die andere gar Männerkleider. Staunend schaut ihnen die Prostituierte Mai Ling nach: Diese Frauen benehmen sich wie ein Liebespaar! Besonders die aufgeweckte Rothaarige hat es Mai Ling angetan. Eigentlich kann Mai Ling kaum noch etwas zum Staunen bringen. Elend kennt sie schon aus Shanghai gut genug. Ihre Familie verarmte, weil der Vater wegen politischer Aktivitäten verfolgt wurde. So war das Leben als wohlbehütete Tochter aus gutem Hause schon vorbei, ehe der Zuhälter Deng Wu sie nach Deutschland schmuggelte. Der geldgierige Chinese betreibt von Hamburg aus nicht nur Frauenhandel, er schreckt auch vor Kokaingeschäften mit Rechtsradikalen nicht zurück. Seine Dealerei hat schlimme Folgen für Mai Ling, die von den Männern brutal misshandelt wird. Als Retterin in der Not erweist sich ausgerechnet Deng Wus Schwägerin, eine "Langnase". Die Deutsche versteckt Mai Ling bei einer Freundin, die die Schwerverletzte eher ungern aufnimmt: Die hübsche Alexandra mit dem kupferroten Haar zöge lieber weiterhin mit ihrer Anzüge tragenden Freundin Sarah durch die Bars. Sie liebt das Leben, hasst ihren Sekretärinnenjob und träumt von Erfolgen als Jazzsängerin. Doch mehr und mehr schließt sie ihren Schützling ins Herz. Die Ereignisse spitzen sich zu. Sarah, eine Jüdin, wird von Rechtsradikalen zusammengeschlagen, und Mai Lings Versteck fliegt auf. Erst als sie verschwunden ist, merkt Alexandra, dass sie sich längst in die Chinesin verliebt hat. Sie macht sich auf die Suche und kämpft für einen Ausweg für sich und Mai Ling...

 

Hamburg in den Zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts: Dort lebt die junge, lebenshungrige Alexandra, die davon träumt, als Jazzsängerin Erfolg zu haben. Doch bis es soweit ist, muss sie sich mit einem verhassten Job als Sekretärin herumschlagen. Um sich davon und von der gescheiterten Beziehung zu einer jüdischen Anwältin abzulenken, feiert sie wilde Partys und genießt exzessiv Zigaretten und Alkohol. Die politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten sind ihr egal und sie kümmert sich eigentlich nur um sich und ihr persönliches Glück. Das ändert sich, als Mai Ling in ihr Leben tritt: Die junge Chinesin ist als Kind einer pro-westlichen Familie in China aufgewachsen und nun als illegale Prostituierte in Hamburg gelandet. Als das Treffen mit einem Freier aus dem Ruder läuft, wird sie schwer verletzt, und eine Freundin Alexandras bittet diese, sich Mai Ling anzunehmen. Damit beginnt eine vorsichtige Annäherung der beiden Frauen und schließlich der Beginn einer Liebe, die allerdings sehr schnell von der keineswegs rosigen Realität eingeholt wird...

Liebevolle und glaubhafte Ausarbeitung der Hintergründe und Figuren

Tereza Vanek beweist auch in ihrem dritten Roman, dass sie ein hervorragendes Erzähltalent besitzt. Mühelos lässt sie die bunte, leuchtende Welt der "Goldenen Zwanziger" in Hamburg auferstehen. Eine Welt, die schnelllebig ist und in der Partys in gewissen Kreisen zum Alltag gehören, in der aber auch die Kehrseiten, Drogen- und Frauenhandel sowie Prostitution, ihren Platz haben. Egal ob am Hafen, im Chinesenvierteln, auf den "schicken" Partys oder in den rauchigen Jazzkneipen: Die Autorin entwirft jedes Mal eine authentische und glaubhafte Umgebung, die es dem Leser leicht macht, sich alles vorzustellen und die einen guten Rahmen für die Handlungen bildet.
Ebensoviel, wenn nicht noch mehr Mühe hat sie auf ihre Protagonisten verwandt. Alexandra und Mai Ling sind hervorragend, psychologisch glaubhaft geschildert. Beide Figuren haben ihre Stärken und ihre Schwächen und es ist bezaubernd, wie sich beide während des Romans weiter entwickeln, andere Prioritäten setzen und lernen, für das zu kämpfen, was ihnen wirklich wichtig ist. Auch die Nebenfiguren sind alle gelungen und geben dem Roman Tiefe. Einzig einer von Mai Lings Freiern ist einfach nur böse, doch ansonsten gibt es keine Schwarz-Weiß-Malerei.

Interessante Sichtweisen durch Perspektivenwechsel

Sich auf den Roman einzulassen fällt auch deshalb leicht, weil die Geschichte im Wechsel aus der Sicht Alexandras und Mai Lings erzählt wird, so dass man zwei Dinge aus unterschiedlichen Blickwinkeln präsentiert bekommt und die Unterschiede zwischen diesen Kulturen gut herausgearbeitet werden. Zudem erzählt Mai Ling in Rückblenden aus ihrem Leben in China und wie es dazu kam, dass sie als Tochter eines wohlhabenden, pro-westlichen Chinesen als Prostituierte in Hamburg landen konnte. Dabei kristallisiert sich der Konflikt heraus, in dem China stand, gefangen zwischen Tradition und Moderne. Eine fremde, exotische, aber sehr spannende Welt, die vor den Augen des Lesers entsteht.
Doch nicht nur China stand an der Schwelle zu einer neuen Zeit, auch in Deutschland war eine Umbruchsstimmung zu spüren. Bereits zu der Zeit fand man aufkeimende Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Umso bedrückender für den Leser, dass damals kaum jemand dieses Gerede ernst genommen hat (von einigen Betroffenen einmal abgesehen), da man selber natürlich genau weiß, wie es kommen wird.

Keinesfalls ein reiner Erotikroman

Insgesamt ist Tereza Vanek wieder ein wundervolles Buch mit feinfühliger Figurenzeichnung und glaubhafter Schilderung der historischen Hintergründe gelungen. Es ist beileibe kein Erotik-Roman (dort ist er in den Buchhandlungen meistens zu finden, da der Verlag ebendiese Romane hauptsächlich veröffentlicht), im Gegenteil, bis auf eine etwas ausführlicher dargestellte Sexszene beweist die Autorin auch in diesem Buch diesbezüglich Diskretion und deutet die Dinge nur an. Dieser Roman ist viel mehr das bewegende Portrait zweier Frauen und der schnelllebigen, aber nicht einfachen Zeit in den "Goldenen Zwanzigern".

 

Chinatown

Tereza Vanek, -

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