Das Lied des Glockenspielers

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 2009
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  • Rowohlt, 2009, Titel: 'Das Lied des Glockenspielers', Originalausgabe
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Rita Dell'Agnese
941001

Histo-Couch Rezension vonJun 2009

Virtuoses Klang-Gemälde mit vielen feinen Tönen

Kurzgefasst:

Lübeck 1665: Lirons Traum von einer Organistenstelle in St. Marien rückt in greifbare Nähe, als ihn der einflussreiche Kaufmann Kortholt in sein Haus holt. Dafür soll er mit dessen Nichte musizieren, die seit Jahren nicht spricht. Als er eigens ein Stück für Cäcilie komponiert, bricht sie ihr Schweigen. Doch zugleich erwachen Erinnerungen an jenes schreckliche Ereignis, das sie einst verstummen ließ...

 

Maren Winter bringt in ihrem jüngsten Roman "Das Lied des Glockenspielers" das geschriebene Wort zum Klingen. Mit grosser Sorgfalt erzählt sie die Geschichte der stummen Cäcilie, die von ihrer Familie - der reichen Kaufmanns-Sippe Kortholt - gerade einmal geduldet, von ihrem Cousin Thiedemann jedoch geliebt wird. Niemand weiss, weshalb Cäcilie vor vielen Jahren ihre Stimme verloren hat und dem Mädchen gelingt es zunächst nicht, ihrem inneren Kokon zu entfliehen und sich verständlich zu machen. Erst der talentierte Musiker Liron, der davon träumt, das Glockenspiel von St.Marien in Lübeck zu betreuen, dringt zum verstörten Mädchen vor und kann den Kokon Schicht für Schicht abtragen. Doch nicht alle sind daran interessiert, dass das stumme Mädchen ihre Sprache wieder findet. So sehen sich Thiedemann, der Liron in seinen Bemühungen unterstützt und Liron immer wieder starkem Gegenwind ausgesetzt.

Feines Gespür

Die Autorin hat eindeutig ein feines Gespür für die leisen Töne. Sie geht sehr subtil an die Geschichte heran und spinnt den roten Faden sorgfältig und gleichmässig. So lebt das Buch denn auch weniger von rasanten Ereignissen denn von einer fein erzählten, kontinuierlich aufgebauten Geschichte rund um das stumme Mädchen. Platz findet dabei aber nicht nur Cäcilies Schicksal. Maren Winter versteht es sehr gut, die Träume von Liron und von Thiedemann einzubauen und ihre jeweilige Handlungsweise dadurch erklärbar zu machen. Zu keinem Zeitpunkt scheint die Geschichte zu dick aufgetragen. Selbst die Szenen, in denen sich die Autorin der Musik widmet, kommen weder zu schwülstig daher noch driften sie ins Belanglose ab. Hier zeigt sich, dass Maren Winter durch ihre eigene Geschichte der Kirchenmusik sehr verbunden ist.

Untergang der Hansestadt Lübeck

Ihren jüngsten Roman hat Maren Winter vor den geschichtlichen Hintergrund des Lübecks aus dem 17. Jahrhundert gestellt. Die Hansestadt kämpft um ihr Überleben, die Stadtkassen sind leer, das Volk revoltiert. Gleichzeitig strebt die kirchliche Musik einem neuen Höhepunkt entgegen. Diese beiden an sich unterschiedlichen Welten vereint die Autorin in ihrem Roman auf nahezu perfekte Art und Weise. Sie schildert den beginnenden Volksaufstand mit der nötigen Distanz und doch voller Emotionen. Dass sie sich einer leicht lesbaren und doch sehr gewählten Sprache bedient, ist ein weiterer Pluspunkt des jüngsten Romans von Maren Winter.

Gelungener Wurf

Alles in allem hat Maren Winter einen Roman geschaffen, der sich vor allem an ein Publikum richtet, das sich einer Geschichte hingeben möchte. Sie verzichtet auf Effekt-Hascherei und übertriebenen Heldenmut ihrer Protagonisten und kommt mit der soliden Schilderung einer wichtigen Epoche daher. Besonders gut ist es ihr gelungen, durch blosse Beschreibung die Musik erlebbar zu machen und beim Leser stille Töne im Kopf abzurufen. Allerdings ist es dafür notwendig, die gängigen Vorstellungen eines Romans über Bord zu werfen und sich ganz dem Erzählstrang hinzugeben. Denn wer dazu nicht bereit ist, wird diesem Buch zunächst nur wenig abgewinnen können. Es offenbart seine feine Schönheit erst nach und nach, dann aber vermag es zu verwöhnen und zu überzeugen.

Das Lied des Glockenspielers

Maren Winter, Rowohlt

Das Lied des Glockenspielers

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