Der Junge im gestreiften Pyjama

  • Fischer
  • Erschienen: Januar 2007
  • 48
  • Fischer, 2006, Titel: 'The Boy in the Striped Pyjamas', Originalausgabe
Der Junge im gestreiften Pyjama
Der Junge im gestreiften Pyjama
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Carsten Jaehner
721001

Histo-Couch Rezension vonJun 2009

Das Dritte Reich aus Kindersicht mit Beigeschmack

Kurzgefasst:

Der neunjährige Bruno weiß nichts von der Endlösung oder dem Holocaust. Er ist unberührt von den entsetzlichen Grausamkeiten, die sein Land dem europäischen Volk zufügt. Er weiß nur, dass man ihn von seinem gemütlichen Zuhause in Berlin in ein Haus verpflanzt hat, das in einer öden Gegend liegt, in der er nichts unternehmen kann und keiner mit ihm spielt. Bis er Schmuel kennenlernt, einen Jungen, der ein seltsam ähnliches Dasein auf der anderen Seite des angrenzenden Drahtzauns fristet und der, wie alle Menschen dort, einen gestreiften Pyjama trägt. Durch die Freundschaft mit Schmuel werden Bruno, dem unschuldigen Jungen, mit der Zeit die Augen geöffnet. Und während er erforscht, wovon er unwissentlich ein Teil ist, gerät er unvermeidlich in die Fänge des schrecklichen Geschehens.

 

Bruno ist ein neunjähriger Junge und lebt mit seiner drei Jahre älteren Schwester Gretel und seinen Eltern in Berlin. Wir schreiben das Jahr 1943, und als Bruno eines Tages nach Hause kommt, sind die Bediensteten gerade dabei, den gesamten Hausstand einzupacken. Es geht nach Auschwitz, wo der Vater, ein hohes Tier bei den Nazis, eine vom Führer persönlich zugeteilte neue Arbeit antritt.

Weg von allen Freunden und allem vertrauten langweilt sich Bruno bald und versteht nicht, was sich auf der anderen Seite des Zaunes, den er direkt von seinem neuen Zimmer aus sehen kann, passiert. So beginnt er zu "forschen" und wandert den Zaun entlang, bis er auf der anderen Seite einen Jungen entdeckt, der in seinem Alter ist und in seiner gestreiften Kleidung einfach dasitzt.

Die beiden freunden sich an, so gut es in dieser Situation geht, nicht wissend, wohin diese Freundschaft einmal führen wird. Bis auch in seinem Gegenüber Schmuel der Forscherdrang geweckt wird.

Ein ideologiefreier Blick auf die Nazi-Zeit

John Boyne wagt mit seinem Roman einen Spagat, der nicht einfach ist und der letztlich auch nicht überzeugend gelingt. Als Jugendbuch gedacht und mit einem neunjährigen als Hauptfigur ist dieses Buch auf keinen Fall auch als Lektüre für Neunjährige geeignet. Der Sprachstil ist daher sehr einfach gehalten, die große Schrift lässt den nur 266 Seiten langen Roman länger aussehen, als er wirklich ist, was aber für Jugendbücher normal ist.

Die Charakterisierung der einzelnen Figuren geschieht immer aus der Sicht Brunos und ist daher nicht immer treffend und vollständig. Der Leser erlebt Brunos Forschen mit und ist leibhaftig bei allen Entdeckungen dabei, die er macht. Es ist, als ob sich mit dem Umzug von Berlin nach Auschwitz eine neue Welt auftut, eine neuer Planet gar. Der Forscherdrang entwickelt sich zwangsläufig, da alles vorherige weg ist und Bruno sich schlicht langweilt.

Komplette Naivität des Neunjährigen

Bruno wird als neunjähriger Junge geschildert, der scheinbar überhaupt keine Ahnung hat, was um ihn herum passiert. Er ist, noch in Berlin, auf seine Freunde und auf seine unnütze ältere Schwester fixiert und weiß noch nicht einmal, was sein Vater beruflich macht, außer, dass er ein wichtiger Mann ist. Selbst als der Führer höchstpersönlich zu ihnen nach Hause kommt, weiß er nicht wirklich, wer das ist und wer dessen weibliche Begleitung ist. Bruno wird so ideologiefrei wie möglich geschildert, um einen möglichst freien und unwissenden Blick auf das Leben der Zeit freizugeben. Zudem ist er auch körperlich kleiner und zurückgebliebener als Gleichaltrige, so dass er dem Leben generell etwas hinterher hinkt. Dazu passt, dass sich eigentlich niemand im Haus wirklich für ihn interessiert und alle ihn wie Luft behandeln.

Dabei belässt Boyne die Figur des Bruno derart naiv, dass er seine einzigen Bezüge zum Nazi-Regime, die Worte "Furor" und "Aus-Wisch" nicht richtig aussprechen kann. Erst durch seine Begegnung mit Schmuel beginnt er, sich auch für andere(s) als sich selbst und sein eigenes Leben zu interessieren, auch wenn er nicht immer die richtigen Schlüsse zieht. Dass die Menschen des Hauspersonals auch eigene Leben und somit eigene Geschichten haben, entdeckt er in seinem Forscherdrang auch eher zufällig, aber es bringt immerhin seine Denkmaschine in Gang.

Inhaltliche Fehler

Für einen Jungen, der nie ein anderes System als das Dritte Reich erlebt hat, ist das natürlich recht dürftig. Die Wahrscheinlichkeit, mitten in Berlin ideologiefrei aufgewachsenen zu sein, zumal seine nur wenig ältere Schwester weiß, was los ist, ist doch sehr gering. Aber niemand wagt es, den Jungen tatsächlich in das reale Leben einzuweihen, weder die Mutter, die sich sowieso mehr mit Oberleutnant Kotler beschäftigt, noch die Schwester, die auch in ihn verschossen ist, als auch das Personal, das sowieso immer mehr weiß als es sagt.

Allerdings gibt es tatsächlich einige inhaltlich-logische Fehler, die selbst dem geneigtesten Leser auffallen müssen. Da ist vom Vergessen der Namen der Freunde dir Rede, und ein paar Seiten später zählt er sie wieder auf. Dieser und ähnliche Fehler helfen dem wankenden Leser nicht bei seiner Beurteilung des Buches. Zudem bleiben angestoßene Erzählungen wie die Hintergrundgeschichten des Personals weitgehend unerzählt, und das dürfte Bruno bei seinem Forscherdrang selbst über den Zeitraum eines Jahres nicht entgangen sein.

Nach der Lektüre besteht Gesprächsbedarf

Dieses Buch ist für Kinder völlig ungeeignet und für Jugendliche, die sich nicht mit der Materie des Dritten Reiches beschäftigt haben, zum Teil unverständlich und viele Fragen aufwerfend. Für Erwachsene ist dies eine zwiespältige Lektüre. Rein auf den Inhalt besehen ist das Buch sicher eine Enttäuschung, da es den Leser ein ums andere Mal unbefriedigt den Kopf schütteln lässt. Aber es entlarvt das Regime als eine schreckliche Diktatur, die man sich nicht hätte ausdenken können, wenn sie nicht tatsächlich real passiert wäre.

Dieser Roman ist anders als andere Romane über das Dritte Reich und für manchen Leser harter Tobak. Ob man ihn mag oder nicht, muss jeder für sich selbst entscheiden. Letztlich ist es ein Roman, der die Leser zu Diskussionen anregt und damit hat er immerhin erreicht, dass man sich mit diesem Thema beschäftigt. Somit hat John Boyne vielleicht mehr erreicht als andere Romane über die Nazi-Zeit.

Der Junge im gestreiften Pyjama

John Boyne, Fischer

Der Junge im gestreiften Pyjama

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