Das gerettete Kind

  • Droemer-Knaur
  • Erschienen: Januar 2016
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  • Droemer-Knaur, 2016, Titel: 'Das gerettete Kind', Originalausgabe
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Birgit Stöckel
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Histo-Couch Rezension vonDez 2017

Die Erlebnisse des Dritten Reichs reichen bis in unsere Zeit

Aktuell erscheinen vermehrt historische Romane, die sich mit dem Dritten Reich, dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg befassen, und das ist richtig so. Denn auch wenn man heutzutage manchmal den Eindruck bekommen könnte, dass die damaligen Schrecken langsam aus dem Bewusstsein von immer mehr Menschen entschwinden, so wirkt das Unheil doch bis in unsere Zeit nach. Insbesondere im Kleinen, in den Familien von Überlebenden des Holocaust zum Beispiel, in denen vieles anders ist als in anderen Familien.

In ihrem Roman Das gerettete Kind nimmt sich Renate Ahrens genau dieses Themas an und zeigt anhand von drei Generationen, wie stark die Geschehnisse von damals nachwirken können. Da ist die über achtzigjährige Irma, die als einzige aus ihrer Familie den Holocaust überlebt hat, weil sie mit einem Kindertransport nach England geschickt wurde. Da ist Leah, ihre Tochter, die von klein auf ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter hatte, von ihr nie so geliebt wurde wie ihre beiden Brüder und der eingeschärft wurde, ihre Mutter ja nie zu ihrer Vergangenheit zu befragen. In der Folge entwickelte sie zum einen einen leidenschaftlichen Hass auf alles Deutsche, zum anderen ist das Verhältnis zu ihrer eigenen Tochter auch alles andere als einfach. Die achtzehnjährige Rebecca, Leahs Tochter und Irmas Enkelin, hat sich ausgerechnet in einen deutschen Studenten verliebt, der in Dublin ein Auslandsjahr verbringt und kämpft mit widersprüchlichen Gefühlen, weiß sie doch, was die Deutschen ihrer Großmutter angetan haben.

Drei Frauen, drei Generationen und viele Konflikte

Mit viel Einfühlungsvermögen stellt Ahrens die Konstellation innerhalb der Familie dar, dieses schwierige Geflecht aus Konflikt, Kälte, Entfremdung und auch komplizierter Nähe. Dies dem Leser zu vermitteln, gelingt ihr bereits dadurch ganz hervorragend, dass sie sowohl Leah als auch Rebecca nie "Mama" oder "Mutter" sagen lässt. Beide sprechen ihre Mütter stets mit dem Vornamen an, wohingegen Rebecca ihre Großmutter ganz selbstverständlich und vertraut "Oma" nennt.

So ist es auch tatsächlich ihre Großmutter, der sich Rebecca anvertraut und deren Reaktion überrascht sie: Irma hat nichts gegen ihre Pläne, vor dem Studium einige Zeit nach Hamburg zu gehen, um die Sprache zu erlernen und natürlich um ihrem Freund nahe zu sein, der nach Ablauf seines Auslandsjahres wieder in seine Heimat zurückgekehrt ist. Im Gegenteil, da Irma selber aus Hamburg stammt, ist sie begeistert und beschreibt Rebecca Straße, Plätze und Häuser, die sie unbedingt besuchen und für sie fotografieren soll.

Während Rebecca mit der Unbefangenheit der Enkelgeneration den Geschichten ihrer Großmutter lauscht, da dieses Thema für sie weiter weg ist und sie nicht so direkt betrifft wie die Generation ihrer Mutter, ist es für Irma die Gelegenheit, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Sie hat kürzlich erst einen Herzinfarkt gehabt und ahnt, dass ihr nicht mehr allzu viel Zeit bleibt, gleichzeitig wird ihr jedoch bewusst, wieviel Unbewältigtes es in ihrem Leben gibt und dass sie sich damit auseinander setzen muss, wenn sie endlich einen Abschluss finden will.

Kindertransporte - Fluch und Segen zugleich

Anhand ihrer Tagebuchaufzeichnungen lässt sie den Leser an ihren Erinnerungen und Erfahrungen zu einem Thema teilhaben, das vielen nicht bekannt sein dürfte: Den Kindertransporten, mit denen jüdische Kinder aus Deutschland, aber auch aus anderen bedrohten Ländern, nach Großbritannien gebracht wurden. Auch wenn das den meisten das Leben gerettet haben dürfte, so war es zugleich auch eine traumatische Erfahrung: Entwurzelt, von der Familie getrennt, voller Angst, ob man die Eltern wieder sehen wird, kamen die Kinder in einem Land an, dessen Sprache sie kaum oder gar nicht sprachen und das sie nicht nur wohlwollend aufnahm, sondern sie auch als billige Arbeitskräfte missbrauchte oder in Flüchtlingslager internierte. Neben Irmas Erinnerungen wird dieser Schrecken und dieses Grauen auch durch Interviews mit Überlebenden, die Rebecca bei ihren Nachforschungen in Hamburg  findet, dargestellt. Die Zustände und Geschehnisse von damals erschüttern und gehen unter die Haut, ohne dass Ahrens auf billige Effekthascherei zurückgreift.

Weniger wäre manchmal mehr

Der einzige Wermutstropfen der Geschichte, der verhindert, dass aus diesem wirklich sehr guten Buch ein hervorragendes Buch wird, ist, dass die Autorin die familiären Schwierigkeiten zu glatt auflöst. Nachdem auch ihre Kinder die Details aus ihrer Vergangenheit erfahren, scheint sich aller Zwietracht, aller Kummer, alle Schwere mit einem Schlag in Nichts aufzulösen. Das wirkt nach fast fünfzig Jahren Konflikt zwischen Leah und Irma zu glatt, sieht zu sehr nach "Friede-Freude-Eierkuchen" aus, um glaubhaft zu sein.

Nichtsdestotrotz ist Das gerettete Kind ein absolut lesenswerter Roman, der einem ein vergessenes Thema nahebringt. Da die Handlung die meiste Zeit über in der Gegenwart spielt, könnte man natürlich darüber streiten, ob eine Besprechung wirklich hierher gehört. Da die Vergangenheit aber nicht nur viel zu erzählen hat, wie das Motto der Histo-Couch besagt, sondern auch oft bis weit in die nachfolgende Zeit und eben auch bis in unsere Gegenwart ihre Schatten wirft, hat es dieses Buch definitiv verdient, hier rezensiert zu werden.

Das gerettete Kind

Renate Ahrens, Droemer-Knaur

Das gerettete Kind

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