Paris ist eine Messe wert

  • Aufbau
  • Erschienen: Januar 2003
  • 3
  • Aufbau, 1983, Titel: 'La Violente Amour', Originalausgabe
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Almut Oetjen
911001

Histo-Couch Rezension vonJan 2007

Knochenbrot und Baby am Spieß

Frankreich 1588: Der Anführer der Katholischen Liga, der Herzog von Guise, ist auf Befehl Heinrichs III. ermordet worden, doch der Bürgerkrieg zwischen den Hugenotten und den Katholiken geht weiter. Die Liga hält die Hauptstadt und wichtige Gebiete besetzt, hat Rückhalt durch Philip II. und die katholische Mehrheit. 1589 schließt der toleranzbereite Heinrich III. einen Friedensvertrag mit dem Hugenotten Henri von Navarra. Wenige Monate später wird Heinrich III. von einem fanatisierten Jakobinermönch erdolcht, und aus Henri von Navarra wird Heinrich IV. Der neue König, unhöfisch, nach Knoblauch stinkend, den Frauen nachjagend, doch militärisch erfahren und politisch gewieft, beginnt mit der Belagerung von Paris. Pierre de Siorac, Arzt und Geheimagent des Königs, begibt sich in geheimer Mission als Tuchhändler Coulondre in die Hauptstadt. Inmitten des hochgefährlichen politischen Klimas gerät er mehr als einmal in Lebensgefahr.

Paris ist eine Messe wert ist der fünfte Band in Robert Merles Zyklus über die Geschichte der Adelsfamilie Siorac und ihre Verwicklungen in die französischen Religionskriege. Der Roman umfasst eine Zeitspanne von sechs Jahren und endet 1594 mit der Einnahme von Paris durch Heinrich IV. Der liebenswerte und charmante Protagonist und Ich-Erzähler Pierre de Siorac, zu Romanbeginn 38 Jahre alt, gerät einmal mehr in die Mühlen der blutigen Religionskriege. Er erlebt die Einnahme von Saint-Symphorien bei Tours durch die Ligistenarmee, die Schlacht von Ivry, die Friedensverhandlung zwischen Heinrich IV. und Kardinal Gondi in Saint-Antoine-des-Champs, die Einnahme von Paris durch die Hugenotten und die Weihe Heinrichs IV., alles zentrale Wegmarken der Historie, die Siorac lebhaft und hautnah erzählt, deutet und kommentiert. Was er nicht selbst erlebt, erfährt er aus sicheren Quellen, so dass sich dem Leser ein recht vollständiges und plastisches Bild der Ereignisse und deren Hintergründe bietet. Bei aller Komplexität der Handlung, des großen Figurenensembles und der Dynamik der politischen Entwicklung verlieren der Leser nie den Überblick und das bei nicht weniger als sechs Anwärtern, die um die Krone konkurrieren, und vier Parteien, die Paris beherrschen.

Merle kontrolliert den Stoff souverän und verarbeitet die verschiedenen Handlungsfäden zu einer abenteuerlichen und spannenden Geschichte, in der sich Kriegs- und Kampfszenen mit Romanze, Schauer, Spionage und Intrige abwechseln. Das ist schnell und pointiert erzählt, mal mit feiner Ironie, mal in drastischen Worten ("uns brannte und glühte der Hintern"), aber immer respektlos und pathosfrei ("Was freilich mich angeht, (...) so sagte ich mir, (...)dass der Ruhm, mit welchem man die toten Soldaten ziert, doch nur den lebenden dient, und zwar hauptsächlich ihren Chefs.")

Einen Schwerpunkt bildet die vierjährige Belagerung von Paris, die Merle in düsteren Szenen beschreibt und die mehr als 30.000 Menschen das Leben kostet. In ihrer Not essen die Menschen Hunde und Katzen, zermahlen die Knochen der Toten vom Friedhof und verbacken das Mehl zu Knochenbrot, deutsche Landsknechte braten auf dem Innozentenfriedhof Frauen und Kinder am Spieß, Mütter essen ihre verhungerten Kinder.

Privat hat Pierre, der in den Stand des Marquis erhoben wird, in dieser Zeit nicht weniger als drei Affären. Sein häusliches Glück mit Angelina ist jedoch getrübt, und er verliert einige gute Freunde.

Paris ist eine Messe wert schafft es, das Interesse der Leserinnen und Leser in der nunmehr vierten Fortsetzung von Fortune de France aufrechtzuerhalten. Ein niemals langweiliger und sehr gut recherchierter politischer Abenteuerroman - höchst lesenswert.

Paris ist eine Messe wert

Robert Merle, Aufbau

Paris ist eine Messe wert

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