Die Jesuitin von Lissabon

  • Rütten und Loening
  • Erschienen: Januar 2010
  • 2
  • Rütten und Loening, 2010, Titel: 'Die Jesuitin von Lissabon', Originalausgabe
Die Jesuitin von Lissabon
Die Jesuitin von Lissabon
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Birgit Stöckel
961001

Histo-Couch Rezension vonMär 2010

Ein erzählerisches Meisterwerk über eine der größten Naturkatastrophen

Kurzgefasst:

Antero Moreira de Mendonça hasst die Jesuiten. Als ein Erdbeben von biblischer Wucht Lissabon 1755 zerstört und die Jesuiten den Zorn Gottes predigen, sieht der junge Naturwissenschaftler die Gelegenheit gekommen, sich am Orden zu rächen. Doch Gabriel Malagrida, der als Prophet verehrte Jesuitenführer, ist ihm ein machtvoller Gegner. Mit Hilfe der deutschen Kaufmannstochter Leonor gelingt es Antero, dem Kerker und der Hinrichtung zu entgehen. Was Antero nicht weiß: Leonor gehört zur Gefolgschaft der Jesuiten. Für wen schlägt Leonors Herz - für Antero oder ihre grausamen Glaubensbrüder?

 

Lissabon 1755: Die Hauptstadt Portugals ist eine blühende Metropole und eine wichtige Handelsstadt, sie steht anderen Großstädten wie London, Paris und Neapel in fast nichts nach. Doch der 1. November 1755, Allerheiligen, ändert auf einmal alles. Ein schweres Erdbeben, eines der schwersten der Weltgeschichte, erschüttert die Stadt und legt sie binnen eines Vormittages in Schutt und Asche. Feuersbrünste und Flutwellen vernichten das wenige, das übrig geblieben ist, fast vollständig. Tausende von Menschen kommen an diesem Tag ums Leben und die Überlebenden stehen vor den Trümmern ihres Lebens und ihrer Heimat.
Mitten in dieser Katastrophe und ihren Folgen entbrennt ein heftiger Kampf zwischen Antero Moreira de Mendonça, einem jungen Naturwissenschaftler, und Gabriel Malagrida, dem Führer der Jesuiten. Der Jesuit möchte dieses Erdbeben für seine Zwecke ausnutzen, während Antero, der einst Malagridas rechte Hand war, alles daran setzt, dies zu verhindern...

Sprachlich gekonnt erzählt

Mit seinem neuesten Roman stellt Titus Müller eindrücklich unter Beweis, dass er ein Meister des Erzählens ist. Eindringlich und bestürzend beschreibt er das Erdbeben und macht die Folgen auf jeder Seite für den Leser fühlbar und verständlich. Gerne lässt man sich von Titus Müller mitnehmen auf diese Reise in die Vergangenheit und hat als Leser das Gefühl, man wäre dabei gewesen. Dabei hilft auch die feine Zeichnung der Charaktere, die der Autor an den Tag legt. Keine Figur ist schwarz-weiß gezeichnet, alle enthüllen nach und nach ihre Stärken und Schwächen und wachsen dem Leser ans Herz. Dabei ist einem beileibe nicht jede der handelnden Personen gleich sympathisch, doch bleibt einem keine einzige gleichgültig. Glaubhaft dargestellt, kann man die Handlungen immer nachvollziehen und je mehr man über die einzelnen Protagonisten erfährt, desto mehr nimmt man Anteil an ihrem Schicksal.

Religion, Naturwissenschaften und politische Intrigen

Doch nicht nur das Erdbeben spielt eine zentrale Rolle, auch der Kampf zwischen Gabriel Malagrida und seinem ehemaligen Schüler und Vertrauten Antero steht im Mittelpunkt. Malagrida versucht als Jesuitenführer Kapital aus der Katastrophe zu schlagen und stellt sie als Strafe Gottes hin, um die Leute zurück zu Gott bzw. in die Arme der Jesuiten zu treiben. Antero, der ganz persönliche Gründe für eine Rache an Malagrida und den Jesuiten hat, versucht das zu verhindern, indem er die natürliche Ursache des Bebens findet. Gespannt und amüsiert folgt man dem jungen Mann auf dieser Suche. Die damals kursierenden Theorien erscheinen uns heute fremd und manchmal schon fast komisch, doch es ist auch sehr interessant zu lesen, welche Erklärungsversuche existierten.
Auch hier gelingt es Titus Müller bravourös, nicht in eine einseitige Darstellung zu verfallen. Auch wenn sich die Jesuiten durch ihren Machthunger als Feindbild anbieten, lässt er immer wieder die guten Seiten des Ordens durchscheinen, so dass es zu keiner Verteufelung dieses Ordens kommt.
Nebenbei kommt auch die politische Situation nicht zu kurz. Sowohl vor als auch nach dem Beben werden Intrigen gesponnen und in eine ist die deutsche Kaufmannstochter Leonor verwickelt. Den Lehren der Jesuiten nahe stehend, arbeitet sie für Malagrida. Doch ihre Gefühle für Antero sowie das Erdbeben verändern auch ihr Leben komplett und sie muss schmerzhaft erkennen, dass ihre bisherigen Ansichten offenbar nicht so richtig waren, wie sie gedacht hat. Wohltuenderweise steht die Liebesgeschichte zwischen Antero und Leonor, anders als der Klappentext vermuten lässt, nicht im Vordergrund, sondern nimmt nur relativ wenig Raum ein. Dadurch kann man sich als Leser voll und ganz auf die eigentliche Geschichte konzentrieren.

Hervorragende Ausstattung

Für die Aufmachung des Buches gebührt dem Verlag ein großes Lob. Neben dem wunderschön gestalteten Einband findet sich am Ende des Buches ein Glossar sowie eine Tabelle mit der richtigen Aussprache wichtiger portugiesischer Worte. Zudem gibt es 24 Seiten Zusatzmaterial, in dem man nähere Informationen zum Erdbeben, der Ursachenforschung, den Jesuiten, Gabriel Malagrida und der politischen Situation bekommt. Außerdem gibt es ein Interview mit dem Autor über seine Arbeit an diesem Buch sowie über das Schreiben generell. Da kann man es als Leser leicht verschmerzen, dass es weder ein Personenverzeichnis noch eine Karte der Stadt gibt.

Alles in allem kann man dieses Buch allen Fans historischer Romane empfehlen, die sich gern in eine ferne Zeit versetzen lassen, sich für die politischen, gesellschaftlichen und religiösen Zustände der jeweiligen Zeit interessieren und fein gezeichnete, glaubhafte Protagonisten schätzen. Einzig Leser, die den historischen Hintergrund nur als Kulisse für eine große Liebesgeschichte brauchen, könnten enttäuscht werden, alle anderen können bedenkenlos zugreifen.

 

Die Jesuitin von Lissabon

Titus Müller, Rütten und Loening

Die Jesuitin von Lissabon

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