Die letzte Gemahlin des Königs

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 2016
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  • Rowohlt, 2015, Titel: 'The Taming of the Queen', Originalausgabe
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Annette Gloser
951001

Histo-Couch Rezension vonSep 2016

Die Überlebende

Kateryn Parr ist 31 Jahre alt, als sie im Jahr 1543 zum zweiten Mal Witwe wird. Schon wenige Tage nach dem Tod ihres Mannes wird sie von Heinrich VIII. an den Königshof nach London gerufen. Die hübsche Witwe liebt Thomas Seymour und hofft auf eine Ehe mit dem attraktiven Mann. Als jedoch der König um ihre Hand bittet, darf Kateryn nicht ablehnen. Sie muss auf ihr persönliches Glück verzichten und stattdessen einen Mann heiraten, der sie abstößt. Zwar bietet ihr Status als Königin großen Luxus sowie die Möglichkeit, sich zu bilden und ihre umfangreichen Kenntnisse dafür einzusetzen, die Kirchenreform voranzutreiben. Kateryn erkennt jedoch schnell, dass sie nur wenig Einfluss auf ihren wankelmütigen Gemahl hat. Und sie weiß, dass ihr Leben in ständiger Gefahr ist. Sie trägt den Schmuck Anne Boleyns und die Pelze Catherine Howards, während die Geister der vier toten Königinnen durch ihre Gemächer zu schweben scheinen. Als sie den König heiratet, beginnt für Kateryn ein alltäglicher Kampf ums Überleben. Und sie ist zu allem entschlossen, um diesen Kampf zu gewinnen.

Königliches Doppelportrait

In Die letzte Gemahlin des Königs gewährt Philippa Gregory Heinrich VIII. weitaus mehr Raum als in den Romanen über all die anderen Tudor- und Lancasterfrauen, über die die Autorin bereits geschrieben hat. So ist ein Roman entstanden, der nicht nur die Persönlichkeit Kateryn Parrs und ihre Geschichte darstellt, sondern auch einen tiefen Einblick in die Psyche Heinrichs VIII. bietet. Dabei gelingt es der Autorin, Kateryns Verdienste um die englische Kirchenreform ebenso zu würdigen wie ihre Überlebensstrategien an einem Hof, dessen Sympathien so tragfähig waren wie ein tiefer Sumpf und dessen Feindschaften für die Betroffenen oft genug auf dem Schafott endeten. Philippa  Gregory zeichnet hier das Portrait einer klugen und gebildeten Frau, die eigene Interessen hintan stellen musste, die ihren Stolz und ihre Klugheit verstecken, ihre ganze Persönlichkeit verleugnen musste, um nicht den gleichen Weg zu gehen wie bereits vier Frauen vor ihr. Dazu kommt, dass Heinrich offenbar noch immer Jane Seymour nachtrauert, sie in den Stand einer Heiligen erhebt und keinen Gedanken daran verschwendet, ob seine Gemahlin sich zurückgesetzt fühlt. Philippa Gregory zeigt ihn als selbstgerechten Herrscher, der fest davon überzeugt ist, niemals Fehler zu machen. Sein Wankelmut, sein Selbstmitleid und seine völlige Selbstüberschätzung werden im Roman praktisch auf jeder Seite deutlich. Das Bild des Königs gerät wenig schmeichelhaft.

Insbesondere Heinrich und Kateryn als Hauptprotagonisten werden als Menschen greifbar und verstehbar. Neben diesen beiden bleiben andere Protagonisten blass. Sie haben ihre Rollen im Roman, so wie sie diese Rollen auch in der Historie hatten, werden von der Autorin jedoch bewusst im Hintergrund gehalten, so dass König und Königin umso intensiver wirken.

Divorced, beheaded, died, divorced, beheaded, survived.

(Geschieden, geköpft, gestorben, geschieden, geköpft, überlebt.)

Mit diesem  Abzählreim hielten englische Kinder jahrhundertelang die Erinnerung an das Schicksal der Ehefrauen Heinrichs VIII. wach. Philippa Gregory hat mittlerweile fast allen Frauen Heinrichs ein literarisches Denkmal gesetzt. Sie zeigt englische Geschichte aus dem Blickwinkel der Frauen, eingeschränkt und oft ohne die Möglichkeit der Einflussnahme. Dabei gelingt es der Autorin, vor allem die Atmosphäre nacherlebbar zu machen, in der die betroffenen Frauen lebten. Dies gelingt auch in Die letzte Gemahlin des Königs. Liebe, Ekel, Mitleid, ein großes Spektrum an Gefühlen macht Kateryn Parr durch. Und Angst. Immer wieder Angst. Beim Lesen glaubt man, die vergiftete Luft bei Hofe, die Intrigen, den Hass, das Ringen um die Aufmerksamkeit des Königs, regelrecht einzuatmen. Das ist wunderbar geschrieben und lässt vor dem inneren Auge einen Film entstehen, der manchmal das Atmen schwer macht. Beim Lesen fühlt man mit Kateryn, spürt ihre Sehnsucht, ihren Verzicht, ihre Nöte und auch ihre schier unglaubliche Erniedrigung durch einen Mann, dem niemand wiedersprechen darf. Durch den gesamten Roman zieht sich eine hohe Spannung, die sich erst auf den letzten Seiten löst.

Fesselnd und von großer menschlicher Nähe

Die letzte Gemahlin des Königs ist nicht der erste Roman über Kateryn Parr und hoffentlich nicht der letzte. Aber es ist ein Roman, der eine Frau aus dem Schatten holt, deren größte Leistung es vielleicht ist, überlebt zu haben. Und die große andere Verdienste hat, die heute den Menschen kaum noch bewusst sind. Dieser Roman hat eine enorme atmosphärische Dichte und besticht durch seine menschliche Nähe. Eine Karte von England und eine Übersichtskarte der Londoner Schlösser, zwei Stammbäume (Tudor/ Stuart und Parr), ein Nachwort der Autorin sowie eine Literaturliste ergänzen den Roman und bieten Orientierungshilfe. Insbesondere das Nachwort, in welchem Philippa Gregory noch einmal die Persönlichkeit Kateryn Parrs würdigt, ist interessant und lesenswert. Ein fesselnder Roman, den man erst aus der Hand legen möchte, wenn man die letzte Seite gelesen hat.

Die letzte Gemahlin des Königs

Philippa Gregory, Rowohlt

Die letzte Gemahlin des Königs

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